Der Jadereiter
nur ein einziges Mal anwesend. Damals herrschte eine düstere Atmosphäre in dem großen Raum voller Stühle, auf denen Cops aller Dienstgrade aus ganz Krung Thep saßen. Auf dem Stuhl des Angeklagten hockte ein sehr verängstigter Sergeant, vor ihm ein Tischchen mit einem Dienstrevolver und einem Glas Wasser. Ich möchte das Thema wechseln. »So schlimm ist es auch wieder nicht. Nehmen Sie zum Beispiel einen jungen farang, der mit ganja erwischt wird. Er zahlt dem Cop, der ihn festgenommen hat, fünftausend Baht, das ist eine vernünftige Summe. Der farang kommt mit dem Schrecken davon, hat seine Lektion gelernt. Wenn er vor Gericht gestellt und in Bang Kwan landen würde, wäre sein Leben ruiniert. Dort würde er mit ziemlicher Sicherheit krank und drogensüchtig. Unser System ist menschlich, voller Mitgefühl, und kostensparend. Der Cop erhält einen Bonus, ohne Belastung des Steuerzahlers. Das Gehalt von Polizeibeamten liegt schon seit Ewigkeiten kaum über der Armutsgrenze.«
Kimberley Jones weiß nicht so recht, ob ich es ernst meine oder nicht. »Tja, da ist die Einstellung der Amerikaner wohl ganz anders. Bei uns ist jeder Bürger vor dem Gesetz gleich – die Alternative wäre die vollkommene Anarchie.«
»Warum treiben wir dann die Ermittlungen gegen Sylvester Warren nicht voran?«
Sie sieht zum Fenster hinaus. »Schlaumeier.«
Langes Schweigen. Schließlich wendet sie sich mir wieder zu. »Genau das tun wir gerade. Aber bitte sagen Sie niemandem was davon.«
32
Auf dem Weg zum Lumpini-Stadion gleiten wir in vergleichsweise moderatem Verkehr an der amerikanischen Botschaft an der Wireless Road vorbei. Kimberley Jones und ich werfen einen kurzen Blick auf die dicken weißen Mauern. Vor ein paar Tagen war der Geburtstag unseres Monarchen, und an einem der Tore zur Botschaft ist ein Banner mit der Aufschrift LANG LEBE DER KÖNIG angebracht. Solche kleinen Gesten von Uncle Sam wissen wir zu schätzen.
Kimberley Jones wendet den Blick von der Botschaft ab. »Jedesmal, wenn irgend jemand sich die Akte Warren vornimmt, erfährt er davon. Und dann wird Druck gemacht; in Mitteilungen und E-Mails wird nachgefragt, warum man Zeit und Energie für Ermittlungen vergeudet, die auf Andeutungen und Klatsch basieren. Einmal wurde ein Revierleiter versetzt. Aber wir haben auch integre Cops wie Sie. Ein kleines Team hat sich insgeheim geschworen, den Fall Warren zu verfolgen. Deshalb bin ich in Bangkok. Rosen weiß genausowenig davon wie Nape. Sie glauben, ich hätte irgendwo einen Auftrag versiebt und mir eine Strafversetzung hierher eingehandelt. Mir ist das nur recht. Also halten Sie bitte den Mund. Ich erzähle Ihnen das alles, weil Sie mir helfen werden. Ich habe schon einen ziemlich großen Teil meiner beruflichen Laufbahn auf dieses Projekt verwendet, und wenn ich es zum Abschluß bringe, werde ich befördert. Ich weiß alles über Warren und seine Jade.«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Sagt Ihnen der Name Barbara Hutton etwas? Oder Woolworth? Ihr Daddy hat einen Wolkenkratzer gebaut, der war der höchste in Manhattan, bis der von Chrysler errichtet wurde. Oder die Sassoons? Die waren vor der chinesischen Revolution ausgesprochen einflußreich in Schanghai. Die Liste ist fast endlos; es stehen Namen darauf wie Madame Chiang Kai-shek, Edda Ciano – das war Benito Mussolinis Tochter –, Edwina Mountbatten, ja sogar Henry Pu Yi. Von dem haben Sie doch sicher schon gehört, oder?« Ich schüttle den Kopf. »Er ist besser bekannt als der letzte Kaiser von China.« Eine ehrfurchtsvolle Pause. »Was verbindet all diese Leute? Sie waren wichtige Spieler auf dem Feld der globalen Finanzen, bevor irgend jemand das so nannte. Man könnte sie als Verkörperung der Swinging Thirties, der Roaring Forties sehen. Sie begründeten eine neue Mode in puncto Schmuck. Zuvor wußten nur die Chinesen und eine Handvoll Fachleute im Westen Jade zu schätzen. Aber sobald sie sich dafür zu interessieren begannen, mußte man mindestens ein paar Stücke aus dem ›Stein des Himmels‹ besitzen, um zu Dinnerpartys eingeladen zu werden. Natürlich sind diese Leute inzwischen alle tot oder zu alt, um sich noch etwas aus Jade zu machen, aber sie war ihre gemeinsame Leidenschaft. Wenn man sich mit ihrem Privatleben beschäftigt, stößt man unweigerlich auf diesen Stein. Und sie haben alle Erben, die inzwischen selber ziemlich alt sind.
Warren hat von einem Mann namens Abe Gump gelernt, einem kalifornischen Antiquitätenhändler, der sich
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