Der Jadereiter
Gang. William hat das nie interessiert. Ihm war immer seine Privatsphäre wichtiger; er wollte keine krummen Dinger drehen. Anfangs schien es so, als würde er mit Hilfe des Sports aus dem Slum herauskommen, doch obwohl er ein hervorragendes Allroundtalent war, hatte er keine Spezialbegabung. Fürs Schwergewichtsboxen war er zu groß und zu langsam, für den Profi-Basketball nicht behende genug, und für alles andere einfach zu schwerfällig. Er ist mit siebzehn in die Armee eingetreten; dort hat er sich sofort wohlgefühlt. Vielleicht war ihm nicht gleich klar, worauf er sich einläßt. Er schämte sich für seinen großen Bruder Elijah, und soweit wir wissen, hatte er mehr als ein Jahrzehnt keinen Kontakt zu ihm. Aber mit der Zeit ist er reifer geworden und hat seine Illusionen über die Marines verloren. In den letzten Jahren haben sie oft miteinander telefoniert.«
»Wird Elijah überwacht?«
»Ja, praktisch rund um die Uhr. Ich habe heute morgen einige der Berichte per E-Mail bekommen.«
»Aber in Bradleys Computer waren keine E-Mails von seinem Bruder.«
»Stimmt, und das macht mich noch argwöhnischer. Die Telefongespräche waren harmlos und nichtssagend. Die beiden führten sicher etwas im Schilde. Wahrscheinlich haben sie sich E-Mails von Internet-Cafés aus geschickt. In den Telefonaten gab es nur ein paar Augenblicke, in denen Bill unvorsichtig war. Er hat sich Gedanken darüber gemacht, wie er im Ruhestand zu Geld kommen könnte, viel davon gesprochen, wie kostspielig sein Lebensstil war. Als irgendwelche Kredithaie anfingen, ihn zu bedrohen, ist er in Panik geraten. Kurz darauf verschwand die Angst aus seiner Stimme, offenbar weil er begriffen hatte, warum sein Bruder sein Leben so führte, wie er es tat. – Er selbst hatte alle Illusionen über das System verloren, dem er sein ganzes Leben lang treu ergeben gewesen war. Und noch einmal fand ein Stimmungswechsel statt: Plötzlich klang er wieder glücklich.«
»Etwa zu der Zeit, als Warren sich mit ihm in Verbindung setzte?«
Sie nickt. »Ja.«
Wegen des dichten Verkehrs brauchen wir mehr als eine Stunde, bis wir die Khao San Road erreichen. Als wir uns von der Flußseite aus nähern, sage ich: »Die Zwerge heißen Doc, Happy, Sneezy, Dopey, Bashful, Grumpy und Sleepy.«
»Gut«, lobt Kimberley Jones mich ein wenig geistesabwesend.
Wir drängen uns durch die Menschenmenge in der Khao San Road und schlüpfen in die schmale soi, die zu Bradleys Haus führt. Es beeindruckt mich, daß Kimberley Jones die Schuhe auf der Außentreppe auszieht, und noch beeindruckender finde ich es, daß sie einen Schlüssel für den unteren Bereich hat. Leise öffnet sie die Tür und gibt mir mit einer Bewegung zu verstehen, daß ich ihr folgen soll. Wir tappen durch den fast völlig dunklen Raum und legen ein paar Kissen nebeneinander auf den Boden. Sie setzt sich mit dem Rücken zur Wand, während ich mich im Schneidersitz niederlasse und darauf warte, daß meine Augen sich an die Finsternis gewöhnen. Plötzlich schaltet Elijah Bradley das Licht an.
Ich sehe den kräftigen Schwarzen und gleich darauf seine beiden Begleiter, die rotkarierte Tücher um den Hals tragen. Bradley nimmt auf einem der unbequemen Ledersessel Platz, die beiden Khmer gehen rechts und links von ihm in die Hocke. Einer der Khmer hat eine Uzi in der Hand, der andere starrt Kimberley Jones an. Diese mustert Elijah, der wiederum mich ansieht. Elijah greift ganz langsam in sein riesiges Hemd und holt einen starren braunen Umschlag heraus, den er mir zuwirft. Ich öffne ihn, ziehe ein offizielles Dokument in Thai heraus und lese es. Kimberley Jones beobachtet mich dabei.
»Das ist der Letzte Wille von William Bradley, der seinen gesamten Besitz in Thailand, darunter auch dieses Haus, seinem Bruder Elijah vermacht.«
»Was bedeutet, daß Sie hier unrechtmäßig eingedrungen und uns eine Erklärung schuldig sind, bevor wir Sie hinauswerfen.« Seine Stimme ist tief und schwer. Daß sie ein bißchen verletzt klingt, überrascht mich.
Dem Mann mit der Uzi erkläre ich auf thai, daß ich meinen Polizeiausweis aus der Tasche holen werde, und warte, bis er nickt, bevor ich es tatsächlich tue. Ich zeige ihn Bradley. »Und wer ist die Lady?« fragt er.
»Ich bin vom FBI«, antwortet Kimberley Jones.
Elijah nickt stirnrunzelnd. »Soso. Als ich Sie im Stadion gesehen habe, war mir sofort klar, daß da etwas faul ist. Sie haben kein Recht, sich in diesem Haus aufzuhalten, ist Ihnen das
Weitere Kostenlose Bücher