Der Jadereiter
für asiatische Kunst zu interessieren begann, als praktisch sein gesamter Bestand an italienischem Marmor und französischen Uhren im großen Erdbeben von San Francisco vernichtet wurde. Er war blind, aber ein großer Kenner. In den dreißiger Jahren galt er als Legende, weil er den Wert eines Jadestücks allein durch die Berührung feststellen konnte. Er hat Barbara Hutton alles über Jade beigebracht, was sie wußte.
Als die großen alten Familien Chinas erkennen mußten, daß der Krieg und die kommunistischen Revolutionen ihnen den Reichtum geraubt hatten, kamen sie auf die Idee, ihre Jade an Leute wie Abe Gump oder später Sylvester Warren zu verkaufen. Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort: Investiere lieber als zu arbeiten; horte lieber als zu investieren. Das haben Sie vermutlich schon gehört, oder? Tja, Sylvester Warren hat diese Lektion sehr schnell gelernt. Er ist ein meisterlicher Horter. Aber auch Horter müssen wissen, wann der richtige Zeitpunkt für den Verkauf kommt. Man könnte sagen, daß im September 1994 so etwas wie ein Signal um die Welt ging, als Barbara Huttons Jadehochzeitshalskette bei Christie’s in Hongkong für vier Komma drei Millionen US-Dollar versteigert wurde. Madame Chiang Kai-shek bot telefonisch von ihrer Wohnung am Gracie Square an der New Yorker Upper East Side aus mit, doch es gelang ihr nicht, das Stück zu bekommen, das sie für ihren hundertsten Geburtstag wollte. Plötzlich war Jade in der Schmuckindustrie wieder topaktuell. Allerdings hatte die Sache einen Haken. Die Kette war aus kaiserlicher Jade, der besten Qualität, die es gibt, aus den Kachin-Bergen in Birma, und ihre Herkunft ließ sich bis in die Verbotene Stadt zurückverfolgen. Wäre sie irgendwo anders hergewesen, hätte sie vermutlich nicht ein Zehntel des Verkaufspreises erzielt. Das ist wie bei Elvis Presleys Gitarre. Ohne den illustren Stammbaum wäre das Ding eben nur eine sehr gute gebrauchte Klampfe.«
»Und Sie glauben, daß Warren Bradley den Auftrag gab, solche Stücke zu fälschen?«
»Das wissen wir nicht. Wie Nape schon sagte, ist das eine Hypothese. Ich arbeite mit Leuten in Washington zusammen, die sich sehr für Warren interessieren. Seit drei Jahren beschäftige ich mich praktisch ununterbrochen mit ihm und seinem Geschäft. Ich weiß inzwischen sogar alles über fernöstliche Kunst. Fragen Sie mich ruhig etwas.«
»Was sind die sechs Körperhaltungen des Buddha, die üblicherweise in religiösen Skulpturen dargestellt werden?«
»Sitzend, Daumen und Zeigefinger der rechten Hand berühren sich; im Lotussitz, die beiden Hände im Schoß übereinander gelegt; sitzend, eine Hand im Schoß, die andere auf dem Knie; sitzend, die rechte Hand die Erde berührend; stehend, die Handflächen nach außen gedreht; stehend, die eine Handfläche nach oben, die andere zur Erde gerichtet.«
»Gut. Sehr gut. Wollen Sie mir eine Testfrage über die westliche Kultur stellen?«
»Wie heißen die Sieben Zwerge in dem Walt-Disney-Film?«
Ich habe das Gefühl, die Antwort auf diese Frage zu kennen, werde sie aber nicht ohne Hilfe von Meditation ausgraben können.
Inzwischen stehen wir Ecke Wireless Rama IV. Road im Stau. Unmittelbar vor uns schwingt ungefähr drei Meter über dem Boden ein kleines rotes Licht. »Sehe ich wirklich, was ich glaube zu sehen?«
»In der Nacht sind Rücklichter Vorschrift.«
»Die reinste Augenweide. Das ist offenbar die einzige Vorschrift, die in Bangkok tatsächlich durchgesetzt wird.«
Wir überholen den Elefanten und biegen links in die Rama IV. Road ein. Nun ist das Stadion nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Der Chauffeur läßt uns aussteigen und verschwindet. Auf dem Platz vor dem Stadion drängen sich Garküchen, an denen Menschen essen und trinken, während aus der Sportarena Begeisterungsschreie dringen. Kimberley Jones zeigt unsere Eintrittskarten vor, dann gehen wir durch einen Tunnel zum Ring. Die Sitze sind nicht numeriert; in einer Ecke befinden sich noch ein paar freie Plätze. Die zwei Männer im Ring wirken nach der Hälfte des Kampfes ziemlich erschöpft. Ich erkenne Mhongchai, der es wieder einmal mit seinem alten Rivalen Klairput zu tun hat. Kein Wunder, daß die Anwesenden so aufgeregt sind. Beim Muay Thai treten die Kontrahenten, wenn westliche Boxer schlagen würden. Beide Männer haben blaue Flecken am Brustkorb; Mhongchais Augenbraue ist aufgeplatzt. Das ist seine einzige Schwäche, ansonsten ist er seinem Gegner überlegen. Klairput
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