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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Berger sich Notizen machte. Als er aufgelegt hatte, lehnte er sich zurück, die Hände über dem gewaltigen Bauch gefaltet, und sah die beiden Kommissare nachdenklich an.
    »Und?«, fragte Julia Durant.
    »Sie müssen wohl immer Recht haben, was? Eine Frau wird vermisst. Hier«, sagte er und reichte den Zettel über den Tisch.
    Sie nahm ihn in die Hand und las: »Judith Kassner, fünfundzwanzig Jahre alt. Vermisstenmeldung heute Vormittag hier eingegangen. Ich wusste es, ich wusste es, verdammt noch mal!«
    Sie machte eine Pause, steckte sich eine Zigarette an, stand auf, ging ans Fenster. Sie sah hinunter auf die Mainzer Landstraße, nach links zum Platz der Republik, wo die Bauarbeiten in den letzten Zügen lagen. Seit sie in Frankfurt war, wurde hier gearbeitet, aber spätestens Anfang Dezember sollte der Verkehr wieder normal fließen. Vor allem im Sommer, wenn man die Fenster aufmachte, war der Lärm von der Straße, von den Presslufthämmern beinahe unerträglich. Aber noch unerträglicher war es, die Fenster bei dreißig Grad im Schatten geschlossen zu halten, denn hier gab es keine Klimaanlage, und die Räume wurden im Sommer schon am Morgen zu Brutkästen. Einen Moment herrschte fast vollkommene Stille im Raum, bevor sie sich umdrehte, gegen die Fensterbank lehnte und einen weiteren tiefen Zug an der Zigarette nahm.
    »Ich brauche die Vermisstenmeldung«, sagte sie äußerlich ruhig, in ihrem Inneren aber brodelte ein Vulkan. »Ich will alles über die junge Frau wissen, wer sie als vermisst gemeldet hat, wie sielebt, was sie tut, et cetera, et cetera … Und zwar sofort. Und der Bericht von Bock müsste doch eigentlich längst im Computer sein, oder?«
    Sie ahnte, was in dem Bericht stehen würde. Sie sah die Autopsieberichte vom vergangenen Jahr noch vor sich, spürte noch immer die unsägliche Wut, die beim Lesen in ihr aufgestiegen war, meinte wieder die Schmerzen zu fühlen, die auch die Frauen gefühlt haben mussten. Dabei hatte sie sich schon vor Jahren vorgenommen, alle Fälle, ganz gleich welcher Natur, nur noch mit kühlem Kopf zu bearbeiten, Emotionen außen vor zu lassen, sich gefühlsmäßig nicht zu sehr zu verstricken. Wenn es ihr auch bei einigen Fällen gelang, bei diesen war es etwas anderes. Was genau, vermochte sie nicht zu sagen, es war einfach Wut, Zorn, Ohnmacht, Schmerz und die Angst,
er
könnte wieder zuschlagen.
    Sie ging in ihr Büro und rief den Bericht ab. Dann steckte sie sich eine weitere Zigarette an und bat Hellmer, ihr einen Kaffee zu holen. Als er zurückkam, sah sie ihn mit großen, traurigen Augen an und murmelte kaum hörbar: »Es ist derselbe. Und er hat sie genauso leiden lassen wie die beiden anderen. Ein Sadist, wie er im Buche steht.«
    Hellmer zog sich einen Stuhl heran und las schweigend. Sie gingen mit dem Bericht zu Berger, Durant las die wesentlichen Passagen vor: »Erika Müller, geboren am 1.11.63 in Flensburg. Einsdreiundsechzig groß, blond, achtundsechzig Kilo. Bis auf Gallensteine in körperlich gutem Zustand. Hämatome am Bauch, an der Brust, an den Armen und Beinen und im Gesicht … Da hat jemand kräftig zugeschlagen. Hämatome an den Hand- und Fußgelenken … Vermutlich mit Handschellen gefesselt, an denen sie gerissen hat. Restspuren von Klebstoff, der von einem Klebeband stammt, an den Mundwinkeln und den Lippen. Je eine Bisswunde an den Brüsten, wobei die Brustwarzen abgebissen wurden. Mehrere Nadelstiche in die Brüste, den Vaginalbereich, dervorher rasiert worden war. Eine goldene Nadel direkt vor dem Scheideneingang durch die Schamlippen gestochen. Keinerlei Spuren sexueller Gewaltanwendung, weder im Vaginal- noch im Analbereich. Kein Sperma, kein Fremdsekret. Die Frau wurde gewaschen, ob vor oder nach ihrem Tod, konnte nicht geklärt werden. Weder Faser- noch Hautspuren unter den Fingernägeln. Der Tod trat durch Erdrosseln ein, vermutlich mit einer Drahtschlinge … Genau wie bei Albertz und Weidmann. Verdammte Scheiße, die muss schon fast tot gewesen sein durch die Schläge und die anderen Misshandlungen! Manchmal wundere ich mich, wie viel Schmerz ein Mensch aushalten kann. Ich werde ja schon im Wartezimmer beim Zahnarzt fast ohnmächtig. Und sie wurde maximal eine Stunde, bevor man sie gefunden hat, umgebracht. Das heißt, sie hat am Sonntagabend noch gelebt.«
    »Mein Gott!«, stieß Hellmer hervor, doch Durant unterbrach ihn gleich wieder.
    »Auch diese Frau hat zwei Tage lang die Hölle auf Erden erlebt. Warum hat er den Frauen die

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