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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Sie lächelte wieder unergründlich, fing erneut an das Spiel zu spielen. Worauf wollte sie hinaus?
    »Ich kann mir kein Urteil über eine Sache bilden, wenn ich nicht alles weiß.«
    »Inwieweit sind
Sie
zu Liebe fähig? Inwieweit ist ein Mensch überhaupt zu Liebe fähig? Gibt es eine bedingungslose Liebe? Und wo fängt diese Liebe an und wo hört sie auf? Ist Liebe ein Gefühl, ist Liebe Sex, ist Liebe, dem andern untertan zu sein, oder ist Liebe nur eine Einbildung? Ist Liebe eine junge, schöne Frau oder ein gütiger alter Mann? Ist sie überall und braucht man sie nur zu greifen?« Sie öffnete ihre Handtasche, holte eine Schachtel Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Richter hatte sie noch nie zuvor rauchen gesehen, doch selbst die Art, wie sie die Zigarette hielt, wirkte bei ihr erotisch, faszinierend.
    Sie schien unnahbar und doch so verführerisch, dass Richter alles dafür gegeben hätte, sie einmal in seinem Arm halten zu dürfen. Als sie vorhin an ihrem Sessel vorbeigegangen war, war wieder ein sanfter Schwall Chanel No. 19 an ihm vorbeigezogen, und jetzt war der ganze Raum erfüllt davon, selbst der Rauch war nicht in der Lage, ihn zu verdrängen.
    »Seit es Menschen gibt, wird versucht, Liebe zu definieren. Und bis heute hat noch keiner eine klare Definition dafür gefunden. Und ich kann es Ihnen leider auch nicht sagen. Aber Siehaben mir gegenüber am Montag erklärt, Sie würden Ihren Mann lieben.«
    »Nein«, entgegnete sie und schüttelte den Kopf, »so habe ich es nicht gesagt. Ich habe gesagt, ich denke, ich liebe meinen Mann. Schauen Sie auf Ihrem Block nach, es müsste draufstehen.« Spöttischer Blick, ein langer Zug an der Zigarette. Normalerweise konnte er Frauen nicht ertragen, die mit ihm spielten, die spöttelten oder sich lustig über ihn machten, doch bei Viola Kleiber war das etwas anderes. Ihre Art ertrug er, er mochte sie sogar. Er empfand es als Herausforderung. Ihr Spott entbehrte jeglicher Angriffslust oder Verteidigung, noch war es ein Schutz, weil sie keinen anderen Ausweg sah, ihr Spott war ein Teil ihres Spiels. Und er war bereit, sich auf dieses Spiel einzulassen. Was immer am Ende auch dabei herauskam.
    »Führen Sie eine glückliche Ehe?«, wollte er wissen und versuchte die Frage so neutral wie möglich klingen zu lassen.
    »Ja,
wir
führen eine glückliche Ehe.« Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, kam auf Richter zu und blieb vor ihm stehen. Die Konturen ihres Körpers zeichneten sich deutlich unter der figurbetonten Bluse und der engen Jeans ab. Er hätte nur seine Hände auszustrecken brauchen, um sie an sich zu ziehen und ihren Körper an seinem zu spüren. Sie schien seine Gedanken lesen zu können, registrierte es und kommentierte seine zur Schau gestellte Interesselosigkeit mit einem kaum merklichen Lächeln. Ihre braunen Augen blitzten dabei kurz auf, und sie strich sich mit einer Hand leicht durch das kastanienbraune Haar. Die Funken der Erotik knisterten wie ein Kaminfeuer im Winter.
    »Sieht Ihr Mann das genauso?«, fragte Richter, ohne sie dabei anzuschauen.
    »Ich weiß es nicht. Kann schon sein. Zumindest habe ich nicht das Gefühl, dass er unglücklich ist.«
    Viola Kleiber setzte sich wieder, Richter atmete auf. Wenn sie so dicht vor ihm stand, zum Greifen nah, spielte sich etwas Merkwürdigesin seinem Kopf ab. Es war weniger sexuelles Verlangen als der Wunsch, diese Halbgöttin zu berühren. Er stellte sich vor, mit ihr allein zu sein, irgendwo fernab von Frankfurt. Es war ein Verlangen, das er bei noch keiner anderen Frau zuvor verspürt hatte. Sie war in seinen Augen keine Patientin, die einer Behandlung bedurfte, und normalerweise hätte er jede andere Frau mit ihren angeblichen Beschwerden, die gar keine waren, nach spätestens fünf Sitzungen wieder nach Hause geschickt. Doch Viola Kleiber reizte ihn, ihr Leben interessierte ihn, er wollte unbedingt herausfinden, was sich hinter ihrer Stirn abspielte, weshalb sie zu ihm gekommen war, weshalb sie bereit war, achthundert Mark pro Sitzung auszugeben. War es pure Langeweile, die sie zu ihm getrieben hatte, oder steckte mehr dahinter?
    »Würde er Ihnen zeigen, wenn er unglücklich ist?«, fragte Richter.
    Viola Kleiber ließ sich mit der Antwort lange Zeit. Schließlich sagte sie: »Ich weiß immer, wenn er nicht glücklich ist. Er braucht es mir nicht zu sagen, ich spüre es einfach. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen Männern und Frauen. Wenn eine Frau unglücklich ist, ist

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