Der Jäger
Morde, er begeht aber keine. Du tust ihm Unrecht. Und ich glaube auch nicht, dass er impotent ist.«
»Spricht da wieder mal deine Intuition? Oder ist es deine unfehlbare Menschenkenntnis?«, sagte er mit einem sarkastischen Unterton, der Durant nicht verborgen blieb.
»Vielleicht beides. Du hättest einfach besser auf ihn achten müssen, als wir bei ihm waren.«
»Ich will trotzdem noch mal mit beiden reden. Wenn sie ein Alibi vorweisen können, nehme ich alles zurück.«
Sie wurden von Richter bereits erwartet. Seine Frau kam gähnend im durchsichtigen Morgenmantel, unter dem sie nichts als ihre nackte Haut trug, die Treppe herunter, machte aber gleich wieder kehrt, als sie die Beamten erblickte. Hellmer grinste über beide Ohren, Durant gab ihm einen leichten Stoß in die Seite.
»Was gibt es denn so Dringendes?«, fragte Richter und bat die Kommissare in sein Büro.
»Professor Richter, wir kommen mit einer schlechten Nachricht. Es geht um eine Ihrer Patientinnen – Maria van Dyck.«
Er hielt in der Bewegung inne, schob den Kopf etwas nach vorn und fragte: »Was ist mit ihr?«
»Sie wurde letzte Nacht ermordet. Damit erhöht sich die Zahl …«
»Maria ist tot?«, fragte Richter mit ungläubigem Entsetzen. »Das kann ich nicht glauben. Sagen Sie, dass das nicht wahr ist.«
»Es ist wahr, leider. Man hat sie heute Nacht im Holzhausenpark gefunden.«
»Entschuldigen Sie, aber das haut mich um. Maria, ausgerechnet dieses unschuldige Wesen. Und wenn ich von unschuldig spreche, dann meine ich das auch. Sie war so zerbrechlich, so zart. Und dabei fing doch gerade alles an, gut zu werden. Ob Sie es glauben oder nicht, es ist, als wenn man mir einen Dolchstoß versetzt hätte. Ich muss jetzt erst mal etwas trinken. Sie auch?«
Julia Durant sah Hellmer an und nickte. »Wenn Sie vielleicht einen Wodka auf Eis hätten?«
»Und Sie, Herr Hellmer?«
»Nein danke.« Er flüsterte Durant zu: »Wir sind im Dienst.«
»Scheiß drauf«, flüsterte sie zurück. »Ich brauch das jetzt.«
Richter reichte ihr das Glas, er selbst trank einen Whiskey.
»Weshalb war sie bei Ihnen in Behandlung?«
Richter überlegte, schürzte die Lippen und sagte dann: »Eigentlich ist das gegen die Schweigepflicht, aber ich pfeif jetzt auf diese verdammte Schweigepflicht. Sie litt seit ihrem zehnten Lebensjahr unter schwersten Angstzuständen. Klaustrophobie, Agoraphobie, was man sich überhaupt nur vorstellen kann. Sie war deshalb auch nicht in der Lage, eine normale Schule zu besuchen, sondern sie bekam Privatunterricht. Und niemand konnte sich erklären, woher diese Ängste rührten. Am Dienstag aberhaben wir den großen, den ganz großen Durchbruch geschafft. Wir haben gemeinsam die Ursache ihrer Ängste ergründet. Was für eine Ironie, was für ein Zynismus des Lebens! Da tut sich eine Tür in eine bessere Welt für sie auf, und dann kommt jemand und schmeißt ihr die Tür vor der Nase wieder zu.«
Er trank sein Glas leer, stand auf und stellte sich ans Fenster, der Garten war in gleißendes Sonnenlicht getaucht.
»Ich hatte ihr nach unserer Sitzung angeboten, zu einer Bekannten von mir zu ziehen, aber vorgestern hat sie mir gesagt, dass sie lieber zu Hause wohnen bleiben wolle. Doch sie war wie ausgewechselt, als ob ein Tonnengewicht von ihren Schultern gefallen wäre. Sie wusste es, und ich wusste es auch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Ängste völlig verschwunden sein würden. Ich sage das nur ungern, weil es eine Abwertung meiner anderen Patienten ist, aber Maria war mir ganz besonders ans Herz gewachsen. Es war für mich eine Herausforderung, ihr das Leben wiederzuschenken, das ihr so lange verwehrt geblieben ist, wenn Sie verstehen, was ich meine. Diese furchtbaren Ängste, die sie so lange quälten, wollte ich von ihr nehmen. Sie sollte einfach leben, so wie andere junge Leute auch. Und jetzt das. Sie wird mir fehlen.«
»War zwischen Ihnen mehr als nur ein Therapeut-Patient-Verhältnis?«, fragte Hellmer, der nicht merkte, wie Durant ihm einen scharfen, mahnenden Blick zuwarf.
Richter drehte sich um, ein vergebendes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Wenn Sie das meinen, was ich denke, dann liegen Sie ganz schön falsch. Aber auf eine gewisse Weise haben Sie trotzdem Recht. Ich habe in ihr so etwas wie eine Tochter gesehen, die ich nie hatte und wohl auch nie haben werde. Mehr war aber nicht. Sie war kein Mädchen, in das ein Mann wie ich sich verguckt, dazu war sie einfach zu unschuldig. Sie
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