Der Jäger
blieb stehen, das Glas in der Hand, und sah ihn an. »Und worüber? Vielleicht über Maria?«
»Über vieles. Zum Beispiel über uns. Ich denke, es wäre besser, wenn wir unsere kleine Affäre beenden.«
Claudia van Dyck lachte höhnisch auf. »Kleine Affäre! Wie sich das anhört aus deinem Mund! Ich weiß zwar nicht, wie deine Zeitrechnung aussieht, aber meiner Meinung nach haben wir mehr als nur eine kleine Affäre. Und ich sag dir eines, mein Lieber, ich bestimme, wann Schluss ist. Es sei denn, du willst, dassalle Welt, einschließlich deiner kleinen Hure zu Hause, erfährt, was zwischen uns gelaufen ist. Willst du das?«
»Rede bitte nie wieder in einem solchen Ton mit mir! Und ganz gleich, was Susanne macht, eine Hure ist sie nicht. Außer du bist bereit, dich mit ihr auf eine Stufe zu stellen. Aber lassen wir das fürs Erste.« Er stand auf, holte sich ein Glas und schenkte sich Whiskey ein. Er trank es in einem Zug leer und sah Claudia van Dyck an, die jeden seiner Schritte mit Argusaugen verfolgte.
»Ich bin eigentlich aus noch einem Grund hier.« Er stand jetzt am Fenster, mit dem Rücken zu ihr, blickte hinaus in die Dunkelheit und sah nur sein Spiegelbild in der Scheibe. »Bist du traurig, dass Maria tot ist?«
Sie lachte erneut höhnisch auf. »Was für eine Frage von einem weltberühmten Psychologen! Wärst du nicht traurig, wenn deine Tochter oder dein Sohn von einem Wahnsinnigen umgebracht worden wäre?! Ja, ich bin traurig, und ich weiß auch nicht, wie ich diese Trauer bewältigen soll. Reicht dir das als Antwort?«
»Nein, denn ich glaube dir nicht. Es sei denn, du hast dich geändert. Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
»Ich mich geändert? Wie soll ich das verstehen?«
Richter atmete tief ein, schloss die Augen und fragte: »Was hat dir Maria bedeutet? Ehrlich.«
»Sie war meine Tochter, das sagt doch schon alles. Oder etwa nicht?«
»Und sie litt unter entsetzlichen Angstzuständen, deren Ursache bis vor ein paar Tagen auch für mich nicht erklärbar waren. Aber wir haben mit Hypnosesitzungen begonnen, und dabei sind ihr mit einem Mal Dinge eingefallen, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Du weißt sicherlich, wovon ich spreche?« Er drehte sich um, sah ihr in die Augen, die zu Schlitzen verengt waren.
»Nein, ich habe keine Ahnung. Doch du wirst es mir sicherlich gleich erklären. Also, ich warte.«
»Ist bei dir etwa auch ein Verdrängungsprozess eingetreten, nachdem du all das mit Maria gemacht hast?«
»Was soll ich gemacht haben?«, fragte sie hart.
»Claudia, es gibt Dinge, die auch für mich nur schwer zu verkraften sind, das musst du mir glauben. Aber ich weiß jetzt, dass du Maria seelisch und körperlich misshandelt hast. Ich kann dir sogar Details nennen, wenn du willst. Willst du?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte Claudia van Dyck und setzte sich aufs Bett, die Beine leicht gespreizt, ein zynischer Zug um den Mund.
»Ich habe alles auf Band mitgeschnitten, aber ich werde es natürlich keinem vorspielen, es sei denn, du zwingst mich dazu. Was hat Maria dir getan, dass du sie so gequält hast? War es, weil du eigentlich einen Sohn haben wolltest? Warum hast du sie im Kühlschrank eingesperrt? Warum hast du sie so lange in der Badewanne untergetaucht, bis sie fast ertrunken wäre? Warum hast du sie, als sie noch so klein und unschuldig war, für deine perversen sexuellen Spielchen missbraucht? Erklär’s mir, damit ich es verstehen kann.«
»Was willst du eigentlich von mir? Maria hat unter Angstzuständen gelitten, und sie hat sich vielleicht über die all die Jahre in etwas hineingesteigert, was nie stattgefunden hat. Und komm mir nicht mit deinem Hypnose-Schwachsinn! Ich habe Maria nie etwas getan. Hörst du, nie!«, spie sie ihm entgegen.
»Doch, das hast du. Maria war weder hysterisch noch paranoid, sie hat sich nicht in etwas hineingesteigert. In ihrem Unterbewusstsein waren nur Dinge vergraben, die unbedingt an die Oberfläche wollten. Und als sie endlich all diese schrecklichen Sachen ausgesprochen hatte, war sie wie befreit. Sie ist am Mittwoch noch einmal zu mir gekommen, ich habe sie kaum wieder erkannt. Sie hat von einem Tag auf den andern angefangen zu leben. Das ist bei hysterischen oder paranoiden Persönlichkeiten anders. Aber noch mal, Maria zeigte keinerlei Anzeichen vonHysterie oder Paranoia. Sie war ein völlig normales Mädchen, das
nur
Angst hatte. Angst vor der Vergangenheit, die sie nicht
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