Der Jäger
nur?, fragte sich Richter und schüttelte unmerklich den Kopf. Sie ist unglücklich in ihrer Beziehung, und ich hätte vielleicht sogar die Gelegenheit … Statt sie beim Schopf zu packen, versuche ich ihr zu helfen. Und wenn das alles nur ein Spiel ist?
»Erzählen Sie mir von Ihrer Mutter. Warum hat sie gesagt, Sie seien hässlich? Und wann hat sie das gesagt?«
Viola Kleiber zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht mehr genau. Eigentlich hat sie es immer nur gesagt, wenn sie wegen irgendetwas wütend war.«
»Lebt Ihre Mutter noch?«
»Ja.«
»Ist sie eine schöne Frau?«
»Als Kind findet man die eigene Mutter immer irgendwie schön. Rückblickend würde ich sagen, sie war und ist ein Durchschnittstyp. Aber sie ist auch alt geworden. Und sie ist krank. Ichhege keinen Hass oder böse Gefühle ihr gegenüber. Sie ist nun mal meine Mutter. Ich kann sie nicht hassen. Sie hatte auch kein einfaches Leben.«
»Könnte es sein, dass sie eifersüchtig auf Sie war?«
»Warum? Sie hatte doch überhaupt keinen Grund dazu. Ich war ein Kind und sie eine erwachsene Frau.«
»Haben Sie noch Kontakt zu ihr?«
»Sporadisch. Wir sehen uns vielleicht zweimal im Jahr, und ab und zu telefonieren wir miteinander. Aber wir hatten nie ein herzliches Verhältnis, wenn Sie das meinen. Dafür liebt sie meine Schwester fast abgöttisch. Ich wünschte mir, ich hätte nur einmal ein wenig von dieser Liebe abbekommen.«
»Und Ihr Vater?«
»Mein Vater hat sein eigenes Leben gelebt. Er ist vor fünf Jahren gestorben. Ich war die Einzige, die in seinen letzten Stunden bei ihm war. Am Sterbebett hat er mir gesagt, dass es ihm Leid tue, sich nicht mehr um mich gekümmert zu haben. Er war ein sehr verschlossener Mann, und ich fürchte, ich habe viele seiner Eigenschaften geerbt.«
Richter erhob sich und stellte sich zu Viola Kleiber ans Fenster. Sie drehte ihren Kopf und sah ihn an. »Was soll ich nur tun? Ich kann so nicht weiterleben.«
»Darf ich Sie fragen, was für ein Sternzeichen Ihre Mutter ist?«
Viola Kleiber machte ein erstauntes Gesicht. »Skorpion«, sagte sie, und dann mit abfällig heruntergezogenen Mundwinkeln: »Ein Skorpion mit mehr als nur einem Stachel.«
Richter schluckte schwer. Er zündete sich zitternd eine Zigarette an und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Und Sie?«
»Was, und ich?«
»Welches Sternzeichen sind Sie?«
»Fisch.«
»Haben Sie mir mehr zu sagen als das eben? Gibt es mehr, wasauf Ihrer Seele lastet? Etwas, das Sie so sehr bedrückt, dass Sie darüber mit niemandem außer mir sprechen können? Sie wissen, ich unterliege einer Schweigepflicht, von der mich nicht einmal die Polizei entbinden kann.«
Viola Kleiber kam um den Tisch herum, stand aufrecht vor Richter, ihre Augen blitzten gefährlich auf. Ein unerwartet harter Zug lag um ihren Mund. Sie stützte sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch ab.
»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen. Könnten Sie es mir vielleicht erklären?«
»Ich denke, meine Frage war eindeutig genug, oder?«, erwiderte Richter unbeeindruckt.
»Und ich denke, Professor Richter, ich habe Ihnen schon viel zu viel gesagt. Ich sollte jetzt besser gehen. Vielleicht sage ich sonst noch Dinge, die Sie in ernsthafte Gewissenskonflikte bringen. Und das wollen wir doch beide nicht, oder?« Die Schärfe in ihrer Stimme war unüberhörbar. Sie machte auf dem Absatz kehrt, zog ihre Jacke an und nahm ihre Tasche.
»Leben Sie wohl, Professor. Und machen Sie sich nicht allzu viele Gedanken um mich. Ich werde klarkommen.«
»Warten Sie!« Richter erhob sich. »Was denken Sie jetzt von mir?«
»Das behalte ich lieber für mich. Ich kann nämlich sehr verletzend sein. Geradezu tödlich verletzend, wenn man mich reizt, obgleich ich im Grunde meines Herzens eigentlich sehr sanftmütig bin.« Sie hielt inne, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Und sollte mir je zu Ohren kommen, dass Sie mit meinem Mann oder irgendjemandem sonst über diese Sitzungen gesprochen haben, werden Sie mich von einer Seite kennen lernen, die Sie nie an mir vermutet hätten.«
Sie verließ das Haus mit schnellen Schritten, Richter sah ihr sichtlich aufgewühlt hinterher. Der Ton ihrer letzten Worte hatte ihn schockiert, hatte ihm eine Viola Kleiber gezeigt, die er sonicht kannte, nicht kennen wollte. Er goss sich einen Cognac ein und schüttete ihn in einem Zug runter. Er stellte das Glas zurück in den Schrank, als es klingelte.
Carmen Maibaum.
»Hallo«, sagte sie. »Ich bin
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