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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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viel zu früh, aber ich kann warten. Ich wusste gar nicht, dass Viola bei dir in Behandlung ist.«
    »Du weißt vieles nicht. Und von mir aus können wir gleich anfangen.«
    Sie ging vor ihm ins Zimmer, er schloss die Tür hinter sich. Sie setzte sich auf die Schreibtischkante, baumelte mit den Beinen. Sekundenlang sah sie ihn nur an. Traurig und irgendwie fern.
    »Fangen wir an?«, fragte Richter.
    Carmen Maibaum nickte nur.

Montag, 11.00 Uhr
     
    Durant und Hellmer hatten die Gästelisten der vergangenen zwei Jahre bei van Dycks Sekretärin abgeholt und waren ins Präsidium zurückgefahren. Kullmer und drei weitere Beamte telefonierten. Hellmer legte die Listen auf Kullmers Schreibtisch, dessen Gesicht gerötet war und der Hellmer einen giftigen Blick zuwarf. Hellmer holte für sich und Julia Durant je einen Becher Kaffee. Sie unterhielten sich mit Berger, bis es an der Tür klopfte. Ein älterer grauhaariger Mann kam herein. Die kleine Gestalt steckte in einem grauen Anzug. Er hatte eine Aktentasche in der Hand.
    »Drechsler«, stellte er sich vor. »Wir haben vorhin telefoniert. Es geht um das Testament von Frau Judith Kassner.«
    »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Berger und deutete auf einen Stuhl.
    Drechsler setzte sich, holte eine Aktenmappe aus seiner Tascheund legte sie auf den Tisch. Er räusperte sich, rückte seine Brille zurecht und sagte: »Da meine Zeit sehr begrenzt ist, möchte ich gleich zur Sache kommen. Wie schon erwähnt, hat Frau Kassner vor fast vier Wochen ein Testament bei mir hinterlegt. Ich habe es geprüft und notariell beglaubigt. Es ist, wie vorgeschrieben, von ihr eigenhändig und handschriftlich verfasst. Ihr ausdrücklicher Wunsch war, dass ich, sollte sie vorzeitig versterben, persönlich dieses Testament der Polizei vorlege. Ich habe zwei Kopien gemacht, das Original werde ich einer gewissen Frau Camilla Faun übergeben.«
    Er reichte Berger ein Exemplar, ein weiteres Durant. Sie las zusammen mit Hellmer.
Testament
     
    Hiermit verfüge ich, Judith Kassner, geboren am 23.10.1974 in Frankfurt am Main und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass mein gesamtes Vermögen inklusive sämtlicher Guthabenkonten, Schmuck, Kleider, elektronischer Geräte sowie meiner Eigentumswohnung in Frankfurt-Niederrad, Kelsterbacher Straße, in den Besitz von Frau Camilla Faun, meiner einzigen und besten Freundin und Wohnungsgenossin, übergeht.
    Dieses Testament tritt in Kraft, sollte ich vor Vollendung des sechsundzwanzigsten Lebensjahres eines unnatürlichen, d. h. gewaltsamen Todes sterben. Da ich seit meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr neben meinem Studium als Callgirl gearbeitet habe und für ein unnatürliches, gewaltsames Ableben meiner Person nur einer meiner Kunden in Frage kommen kann, ist eine Liste mit den Telefonnummern dieser Kunden in meinem PC gespeichert, der sich in meiner Wohnung in Frankfurt, Gräfstraße, befindet.
    Für den Fall, dass ich das sechsundzwanzigste Lebensjahr erreiche, verliert dieses Testament seine Gültigkeit.
     
    Frankfurt, den 5. Oktober 1999
    Judith Kassner
     
    PS: Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang. Und ich habe nichts bereut.
    Durant und Hellmer sahen sich nur vielsagend an.
    »Hat Frau Kassner Ihnen gesagt, weshalb sie dieses Testament verfasst hat? Gab es Morddrohungen gegen sie?«, wollte Berger wissen.
    Drechsler lächelte etwas verkniffen, er machte einen unsicheren Eindruck. »Nein. Aber ich habe sie auch gefragt, wie eine so junge Frau dazu kommt, ein Testament zu verfassen. Sie hat ein wenig gezögert, mir dann aber geantwortet, dass sie einen Traum gehabt habe, über den sie sehr verwundert sei. Sie wusste offensichtlich nach diesem Traum, dass sie sterben würde. Bloß das Wann wusste sie nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen, nur, dass sie eine sehr bemerkenswerte Frau war.«
    »Danke, dass Sie uns informiert haben«, erklärte Berger. »Weiß Frau Faun schon davon?«
    »Ja, ich habe mich für zwölf mit ihr verabredet.«
    »Ist Ihnen bekannt, dass Frau Faun blind ist?«, fragte Durant.
    »Ja, Frau Kassner hat es mir gesagt. Ich schätze, ich sollte mich dann mal auf den Weg machen.«
    Drechsler verabschiedete sich. Durant sah ihm kurz hinterher. »Also diese Kassner hätte ich wirklich gerne einmal kennen gelernt. Es gibt ja niemanden, der nicht von ihr schwärmt.« Ein Blick auf die Uhr, fünf nach halb zwölf. »Ich würde sagen, wir gehen jetzt eine Kleinigkeit essen, und dann sehen wir uns die Bänder an.«
    »Toi, toi, toi«,

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