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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Welt, den ich mehr lieben könnte als ihn. Er war derjenige, der mich aufgefangen hat, als ich abzustürzen drohte. Er hat mir Halt und Kraft gegeben und tut es immer noch. Er war stets für mich da. Wir brauchten nie viel zu reden, weil wir die Gedanken des andern lesen konnten. Er war und ist ein Ruhepol, die Schulter, an die ich mich anlehnen kann. Allein ihn zu kennen, ist es wert zu leben. Er hat mir gezeigt, was Liebe ist, und ich habe versucht, ihm alle Liebe zu geben, zu der ich fähig bin …«
    »Aber …«
    Sie machte eine Handbewegung. »Bitte unterbrich mich nicht. Ich möchte einfach nur reden, und du hörst zu. Wir haben vor achtzehn Jahren geheiratet, ich habe kurz darauf zwei Kinder bekommen. Keiner weiß bis jetzt davon, es waren Zwillinge, die bald nach der Geburt gestorben sind, weil sie zwölf Wochen zu früh geboren wurden. Sie haben nicht einmal siebenhundertGramm gewogen. Es war ein Schicksalsschlag für uns beide, aber unsere Liebe hat uns die Kraft gegeben, das alles zu überstehen. Wie heißt es in der Bibel so schön – die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Unsere Liebe hat bis heute Bestand. Wir waren eins in der Seele, im Geist und im Körper, die perfekte Einheit. Bis zu dem Tag vor etwa fünf Jahren, an dem er seine körperliche Kraft verlor. Keiner kann bis heute erklären, was passiert ist, aber von einem Tag auf den andern konnte er nicht mehr mit mir schlafen. Du musst wissen, wir haben nie gefickt oder gevögelt, wir haben keine Schweinereien gemacht, wir wollten einfach nur den andern spüren. Anfangs dachten wir, es wäre eine vorübergehende Erscheinung, eine Folge von Stress und Überarbeitung. Aber sosehr wir uns auch abmühten, es klappte nicht mehr. Seit fünf Jahren habe ich nicht mehr dieses wunderbare Gefühl verspürt, wenn
er
in mich eingedrungen ist. Mir hat es nicht so wahnsinnig viel ausgemacht. Wer wirklich liebt, kann auf Sex verzichten. Aber er ist daran zerbrochen. Ich habe ihn so viele Male weinend erlebt, wenn er hilflos wie ein kleines Kind im Bett lag, nachdem es wieder einmal nicht geklappt hat, und immer wieder nach dem Warum fragte. Wir haben unzählige Ärzte konsultiert, Psychiater und Psychologen, wir waren sogar in Amerika und Australien, wir haben so genannte Wunderheiler aufgesucht, nichts half. Dabei ist er körperlich gesund. Du solltest ihn sehen, wenn er morgens kurz vor dem Aufwachen ist und sich unter der Bettdecke diese herrliche Erektion abzeichnet. Doch sobald er in mich eindringt, erschlafft er wieder. Und ich weiß, es liegt nicht an mir, ich weiß, er begehrt mich wie eh und je, nur in seinem Kopf stimmt etwas nicht. Irgendwann habe ich ihm gesagt, er solle es doch einmal bei einer Hure probieren, vielleicht funktioniert es ja da, aber er hat mich nur ausgelacht. Er würde niemals zu einer Hure gehen, hat er gesagt.
    Und dann hat er eine Frau kennen gelernt, von der er sich erhoffte,sie würde ihm vielleicht seine Manneskraft zurückgeben. Eine schöne, eine bekannte Frau. Er hat ihr eine Wohnung eingerichtet, aber sie hat ihn nur ausgenutzt. Ich wusste von dieser Beziehung, ich wusste aber auch, dass er sie nicht geliebt hat. Eine Frau spürt sofort, wenn der Mann sie mit dem Herzen betrügt. Er hätte das nie fertig gebracht. Er wollte sich nur beweisen, dass er noch ein Mann war. Mir gegenüber war er liebevoll und aufmerksam wie eh und je. Und er ist es bis zum jetzigen Tag. Aber diese Frau war eine Hure, eine elende, verkommene Hure! Sie hat ihn ausgenutzt und verspottet, sie hat ihn gedemütigt. Sie war so abgrundtief schlecht, so kalt im Herzen, und sie war nur auf das eigene Wohl bedacht. Es kümmerte sie nicht, ob er litt, ob die Demütigungen wie Speerspitzen in sein Herz gedrungen sind. Ich habe sein Leiden miterlebt, auch wenn er dieses Leiden vor mir zu verbergen suchte. Sie hat ihm den letzten Rest seines Stolzes geraubt. Heute ist er ein innerlich gebrochener Mann von gerade einmal siebenundvierzig Jahren. Aber ich bewundere ihn, wie er mit all diesen Demütigungen umgeht.«
    Sie hielt inne, trank ihr Glas leer, bat Richter, ihr noch eines einzuschenken. Er tat es wortlos und setzte sich wieder. Sie zündete sich eine Zigarette an, inhalierte und blies den Rauch durch die Nase aus.
    »Dann hat er es bei noch einer Frau probiert, einem wirklichen Rasseweib. Aber auch das hat nichts genutzt. Und ich habe versucht, meine eigene Sexualität zu unterdrücken, doch es ist mir nicht gelungen.

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