Der Jäger
Zum Glück ist Judith aufgetaucht. Sie bestand darauf, den größten Teil der Miete zu übernehmen, und auch sonst hat sie eine Menge Geld in die Einrichtung gesteckt. Sie wollte, dass es einfach nur gemütlich ist. Sie müssen wissen, ich gebe neben meinem Studium noch Klavier- und Gitarrenunterricht, und trotzdem würde es nicht reichen, um die Wohnung weiter allein zu unterhalten. Als ich hier eingezogen bin, habe ich nur siebenhundert Mark bezahlen müssen, plötzlich aber wollte der Vermieter fast das Doppelte haben. Und das konnte ich mir beim besten Willen nicht leisten.«
»Haben Sie erst mal vielen Dank für Ihre Hilfe. Und wenn Sie nichts dagegen haben, möchten wir uns jetzt in Frau Kassners Zimmer umschauen.«
»Gern geschehen. Ich hoffe nur, ihr ist nichts passiert. Normalerweise ruft sie nämlich immer an, wenn es sehr viel später wird. Ich mache mir schon Sorgen um sie. Es ist nicht ihre Art, einfach so wegzubleiben.«
»Hat sie ein Auto?«
»Ja, einen Opel Tigra. Sie hat ihn sich vor einem halben Jahr gekauft. Das Kennzeichen ist F-JK 2310. Das ist ihr Geburtstag.«
»Ach ja, sie hatte vorgestern Geburtstag. Gab es eine Party?«
»O ja, eine Riesenfete. Man wird ja nur einmal im Leben fünfundzwanzig. Es waren alle möglichen Freunde und Bekannte hier. Das Remmidemmi ging bis morgens um vier. Aber es war schön. Manchmal tut es gut, sich einfach gehen zu lassen. Laute Musik, lachen, sich unterhalten. Leider kommt so was viel zu selten vor. Na ja, man kann nicht alles haben.«
Das Zimmer von Judith Kassner war wie schon das Wohnzimmer gemütlich und aufgeräumt. Ein gemachtes Bett an der Wand, darüber das berühmte Poster mit Albert Einstein, das ihn mit herausgestreckter Zunge zeigt. Rechts von der Tür ein Kleiderschrank, daneben eine kleine Spiegelkommode. Auch hier Parkettboden, der allerdings zum größten Teil von einem dicken Teppich bedeckt war. Ein Halogenstrahler stand zusammen mit einem Schaukelstuhl in der Ecke neben dem Fenster, das zur Rückseite des Hauses zeigte, auf dem Schreibtisch lagen mehrere Fachbücher und ein paar lose Blätter, auf denen sie sich Notizen gemacht hatte, daneben befand sich ein relativ neuer PC. Obwohl es das Zimmer einer angehenden Naturwissenschaftlerin war, war die Einrichtung nicht kühl und nüchtern, wie Durant es erwartet hatte, sondern eher verspielt, wovon schon die Gardinen und der Bettbezug im Laura-Ashley-Design zeugten. Ein an der Decke angebrachtes Mobile bewegte sich sanft.
Durant und Hellmer zogen die Schubladen vom Schreibtisch heraus, suchten nach einem Notiz- oder Adressbuch, gaben es aber nach wenigen Minuten auf. Als Nächstes öffneten sie den Kleiderschrank. Einen Moment blieben sie wortlos davor stehen. Julia Durant ließ ihre Blicke über die Kleider wandern.
»Wow!«, entfuhr es ihr kurz darauf. »Das Zeug muss ein Vermögen wert sein.« Sie griff nach einem roten Kleid und holte es heraus. »Paco Rabanne«, flüsterte sie kaum hörbar. »Selbst wenndu fünftausend Mark im Monat zur Verfügung hast, kannst du dir solche Klamotten nicht leisten. Noch mal Paco Rabanne, Versace, Chanel, Dior … Wie kann die sich das leisten? Ich kenne jedenfalls keine Studentin, die, bis auf ein paar ganz normale Jeans, ihren Kleiderschrank ausschließlich mit Designermode voll gestopft hat. Du etwa?«
»Nee. Nadine hat zwar ein paar Kleider von Chanel und Dior, aber …«
»Das ist was anderes, ihr habt auch Geld … Und schau mal hier, die Unterwäsche. Schwarze Seidenstrümpfe, blaue Seidenstrümpfe, rote Seidenstrümpfe, dazu die passenden BHs und Slips, alles nur vom Feinsten. Die junge Dame steht wohl auf das Ausgefallene?! Wo hat sie nur das Geld her?«
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?«, fragte Hellmer zurück.
Die Kommissarin setzte sich auf das Bett, sah auf dem kleinen Tisch am Kopfende einen Aschenbecher, in dem eine Kippe lag, holte eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündete sie an. Sie ließ einen Moment verstreichen, bevor sie sagte: »Okay, Frank, fünftausend Mark, davon gehen ungefähr tausend Mark für Miete drauf, zweihundert Mark für Strom und Telefon, drei- bis vierhundert Mark fürs Auto. Vielleicht auch mehr, wenn sie den Wagen auf Kredit gekauft hat. Macht mindestens sechzehnhundert Mark. Dazu kommen noch diverse andere Ausgaben wie essen und trinken, und schon sind wir bei etwa zweieinhalbtausend Mark. Bleiben zweieinhalbtausend übrig. Und jetzt verrat mir, wie kann sich jemand solche Klamotten
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