Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
Wohnzimmer.«
    Eine junge Frau saß am Klavier und drehte ihren Kopf in Richtung der Eintretenden. Sie hatte lange, glatte blonde Haare, lange, schlanke Finger, und selbst im Sitzen wirkte sie groß. Sie trug einen Norweger-Pullover, Jeans und Leinenturnschuhe.
    »Frau Faun?«, fragte Durant und trat näher.
    »Ja. Und Sie sind Frau Durant«, sagte sie bestimmt. »Ich habe Sie sofort an Ihrer Stimme erkannt.«
    »Hier, mein Ausweis.« Die Kommissarin hielt ihn ihr hin.
    Camilla Faun lächelte nur »Stecken Sie ihn wieder weg, ich glaube Ihnen auch so. Außerdem könnte ich ihn gar nicht lesen.«
    »Bitte?«, fragte Durant erstaunt.
    »Ich bin blind. Ich hoffe, das stört Sie nicht.«
    »Nein, aber …« Julia Durant erschrak. Sie hätte nie vermutet, dass diese wunderschönen blauen Augen nicht sehen konnten. Sie hatten etwas Katzenhaftes, Unergründliches, sie waren nicht wie bei den meisten Blinden stumpf und leer, sie schienen voller Leben und Neugier zu stecken. »Entschuldigen Sie, aber Sie machen gar nicht den Eindruck, als ob Sie blind wären.«
    Camilla Faun lächelte verzeihend. »Setzen Sie sich einfach hin. Fast alle Leute erschrecken erst einmal, wenn sie hören, dass ich nicht sehen kann. Dabei wissen sie gar nicht, dass ich doch sehen kann. Vielleicht besser als jemand mit Augen …«
    »Wie ist das passiert?«, fragte die Kommissarin.
    »Ich weiß es selbst nicht genau, es muss, wie einige Psychiater und Ärzte sagen, ein schreckliches Erlebnis gewesen sein, an das ich mich aber nicht erinnern kann. Sie haben mich verschiedentlich unter Hypnose gesetzt, doch die Ursache für meine Erblindung nicht herausfinden können. Ich würde es selber zu gerne wissen. Sie sagen, ich muss durch irgendetwas einen derartigen Schock bekommen haben, dass dies zur Erblindung geführt hat. Eine andere Erklärung haben sie nicht.«
    »Und Sie können sich an überhaupt nichts erinnern?«
    »Leider nein. Ich war elf, als ich plötzlich nichts mehr sah. Aber Sie sind ja nicht gekommen, um über mich zu sprechen.« Sie erhob sich von ihrem Klavierstuhl – sie war groß und schlank – und bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit auf einen Sessel zu und setzte sich. Das Zimmer war aufgeräumt, alles machte einen sauberen, gepflegten Eindruck. Grünpflanzen auf der Fensterbank, Parkettboden, helle Möbel, eine blaue Sitzgarnitur. Ein Fernsehapparat, eine hochwertige Stereoanlage, im CD-Ständer fast ausschließlich Klassik-CDs. Die Fenster geputzt, kein Krümel auf dem Boden. Durant fragte sich, wer hier wohl sauber machte, Judith Kassner oder Camilla Faun.
    »Sie wohnen sehr schön hier«, sagte die Kommissarin anerkennend.
    Camilla Faun lächelte wieder. »Danke. Es ist unser kleines Reich. Ich fühle mich in dieser Wohnung wohl und irgendwie geborgen. Sie gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, wenn Sie verstehen, was ich meine. Als Judith hier eingezogen ist, war es eigentlich erst perfekt. Ich mag sie sehr, auch wenn sie bisweilen etwas verquere Vorstellungen vom Leben hat. Aber wäre es nicht schlimm, wenn wir alle völlig gleich wären? Sie ist und bleibt meine beste Freundin. Auch wenn ich weiß, dass sie schon bald aus Frankfurt wegziehen wird.«
    »Frau Faun, Sie haben Ihre Freundin heute Morgen als vermisst gemeldet. Seit wann genau vermissen Sie sie?«
    »Sie hat gestern Mittag um zwölf das Haus verlassen und wollte gegen sechs zurück sein. Nun, es kommt nicht selten vor, dass sie sich nicht an die Zeiten hält, aber als sie um Mitternacht noch immer nicht da war, begann ich mir doch Sorgen zu machen. Und heute Morgen musste ich einfach zur Polizei gehen. Sie hat mir noch gestern gesagt, dass sie heute eine wichtige Klausur schreiben würde, die sie unter gar keinen Umständen versäumen dürfe. Und wenn sie auch in einigen Bereichen bisweilen etwas unzuverlässig ist, so nimmt sie ihr Studium doch sehr ernst. Sie hat große Pläne für die Zukunft.«
    »Und was sind das für Pläne?«
    »Sie will nach dem Studium nächstes Jahr in die Forschung gehen. Sie hat gute Beziehungen zum Max-Planck-Institut, und eigentlich steht ihrer Karriere nichts im Wege. Sie ist eine hervorragende Studentin. Fragen Sie mich nicht, warum, aber ich kann mit Mathematik und Physik überhaupt nichts anfangen. Ich spiele lieber Klavier. Ich studiere übrigens Musik.«
    »Haben Sie ein Bild von Ihrer Freundin?«, fragte Durant.
    »Auf dem Schrank.«
    Hellmer stand auf und holte das Bild. Es zeigte Camilla Faun zusammen mit Judith

Weitere Kostenlose Bücher