Der Jäger
leisten, wenn er nur zweieinhalbtausend Mark zur Verfügung hat? Dafür krieg ich nicht mal das Etikett, auf dem Chanel steht. Wo hat sie das Geld her? Hier stimmt doch etwas nicht! Oder? Schauen wir doch mal nach, was sie so alles in ihrer Frisierkommode hat.«
Sie zogen die oberste Schublade heraus, und Julia Durant schüttelte den Kopf, als sie ihr ein Goldcollier entnahm. Sie kniff dieAugen zusammen, blickte auf den Stempel am Verschluss und sagte leise: »Das gibt’s nicht. Das ist echt. 585er Gold, und alles voller Steine. Und die Armbänder und Ringe … Hier liegt unverschlossen ein Riesenvermögen. Was ist das bloß für eine Frau? Studiert Mathe und Physik, muss analytisch und logisch denken und hat nicht mal einen Tresor für ihren Schmuck. Ich kapier’s nicht. Ich krieg’s einfach nicht in meinen Kopf.«
Sie nahm einen weiteren tiefen Zug an ihrer Zigarette, bevor sie sie ausdrückte, und ging ins Wohnzimmer, wo Camilla Faun gerade eine CD einlegte. Haydn, Symphonie No. 104.
»Frau Faun, kennen Sie sich in Mode aus?«
»Warum?«, fragte sie zurück und drehte sich um, als könnte sie die Kommissarin sehen. »Ich weiß nicht, was …«
»Um es kurz zu machen, im Kleiderschrank von Frau Kassner hängen Kleider und andere Sachen von ziemlich großem Wert. Dazu hat sie noch Schmuck, na ja … Hat sie Ihnen je davon erzählt?«
»Nein. Sie hat des Öfteren schöne Kleider angezogen, wenn sie weggegangen ist, zumindest haben sie sich schön angefühlt, aber ich kenne mich damit nicht sonderlich gut aus. Tut mir Leid.«
»Und Sie haben auch keine Erklärung, wie sie sich die Sachen leisten konnte?«
»Vielleicht hat ihre Mutter sie gekauft, wer weiß.«
»Und das Auto, hat sie es bar bezahlt oder auf Raten gekauft?«
»Bar, soweit ich weiß.«
»Danke. Wir werden uns noch einen Moment umsehen.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit, Sie stören nicht.«
Durant ging zurück zu Hellmer, der den Computer eingeschaltet hatte. Glücklicherweise hatte Judith Kassner den Zugang nicht mit einem Passwort verschlüsselt. Er rief mehrere Programme auf, bis er auf ein Programm für Adressenverwaltung stieß.
»Bingo! Sie hat ihre Adressen und Telefonnummern im PC gespeichert.Eigentlich typisch für eine Mathematikerin. Ich mach mal einen Ausdruck davon.«
Während der Drucker arbeitete, sah die Kommissarin aus dem Fenster auf den kleinen Hof, in dem mehrere Fahrräder abgestellt waren, und den kleinen Garten, der jetzt, in den letzten Oktobertagen, karg und trist wirkte. Wie kommt eine ganz normale Studentin zu solchen Kleidern und diesem Schmuck?, fragte sie sich. Sie schüttelte den Kopf, es machte keinen Sinn. Noch während sie überlegte, stellte sich Hellmer neben sie und zeigte ihr den Ausdruck. »Das sind genau einhundertzwölf Namen, die meisten allerdings nur als Initialen vermerkt. Aber sie hat die Telefonnummern dazugeschrieben. Was sagt dir das?«
»Männer?« Sie kaute auf der Unterlippe und blickte Hellmer fragend an. »Initialen und Telefonnummern. Ich hab in meinem privaten Adressbuch vielleicht zwanzig Adressen. Aber sie hat mehr als fünfmal so viel. Könnte das die Klamotten und den Schmuck erklären? Und dann die vielen Termine. Was, wenn sie ohne Wissen von Frau Faun nebenbei als Hure arbeitet?«
»Wenn sie gut ist … Aber ich würde sie in diesem Fall nicht als Hure bezeichnen, eher als Edelnutte. Ich bin mal gespannt, wen wir so alles an den Hörer kriegen«, meinte Hellmer grinsend. »Und es sind längst nicht alles Frankfurter Telefonnummern.«
»Sollte sie tatsächlich als Callgirl gearbeitet haben«, sagte Durant nachdenklich, »wo hat sie gearbeitet? In Hotels? Ich meine, mit einem solchen Outfit wirst du nie im Leben für eine Hure gehalten.«
»Vielleicht hat sie irgendwo in Frankfurt noch eine Wohnung gehabt. Wer sich diesen Luxus erlauben kann, wird wohl auch das Geld haben, eine weitere Wohnung zu unterhalten. Ja, vielleicht hat sogar einer ihrer vermögenden Freier die Kosten dafür übernommen. Aber noch wissen wir ja gar nicht, ob wir mit unserer Vermutung Recht haben.«
»Wir überprüfen sämtliche Telefonnummern. Auch der Computermuss gecheckt werden. Vielleicht hat sie als angehende Mathematikerin oder Physikerin ein Notiz- oder Tagebuch geführt, im PC, meine ich. Und ich werde gleich noch mal mit Frau Faun sprechen. Ich werd sie einfach fragen, ob ihr am Lebenswandel ihrer Wohnungsgenossin wirklich nichts aufgefallen ist.«
Hellmer zuckte die Schultern. »Und was,
Weitere Kostenlose Bücher