Der Jäger
etwa ein Drittel der Telefonnummern überprüft und die dazugehörigen Teilnehmer namentlich ermittelt und sind schon beim zweiten Anruf auf eine heiße Spur gestoßen. Ein gewisser Hermann Kreuzer hat zugegeben, dass er Frau Kassner zuletzt vor einem Jahr getroffen hat und zwar in einer Wohnung in Niederrad, Kelsterbacher Straße.«
»Hat er sonst irgendwas gesagt?«, fragte Durant gespannt.
»Er wollte erst nicht mit der Sprache rausrücken, aber als wir verlauten ließen, dass es sich möglicherweise um ein Verbrechen handelt, wurde er mit einem Mal sehr gesprächig und sehr aufgeregt. Er hat gefragt, ob die Sache auch vertraulich behandelt wird, und er sei verheiratet, und seine Frau dürfe unter gar keinen Umständen etwas davon erfahren, Sie kennen das ja. Und es stimmt, sie hat sich ihr Geld durch Prostitution verdient. Sie hat diese Wohnung in Niederrad, hat aber auch Haus- und Hotelbesuche gemacht.«
»Und dieser Kreuzer hat sie das letzte Mal vor einem Jahr gesehen?«
»Behauptet er. Sie sind doch in der Nähe, schauen Sie mal dort vorbei, an der Klingel stehen die Buchstaben J. K.«
»In Ordnung. Wir sind gerade noch mal auf dem Weg zu diesem Müller, danach fahren wir rüber nach Niederrad. Um sechs sind wir spätestens wieder im Büro. Sonst noch was?«
»Eine ganze Menge interessanter Namen, aber das heben wir uns für nachher auf. Bis dann.«
Julia Durant zündete sich eine Zigarette an. »Wie ich vermutet habe, sie ist oder war eine Hure. Und sie muss verdammt gut gewesen sein.«
»So wie die aussieht, ich meine, sie wird wohl gewusst haben, was sie wert ist. Ich verstehe nur nicht, warum eine solche Frau im horizontalen Gewerbe arbeitet. Sie muss doch später ständig fürchten, einem ihrer ehemaligen Freier über den Weg zu laufen, wenn sie wirklich eine so erstklassige Studentin ist.«
»Wie kommst du darauf?«
»Na ja, sie scheint doch finanziell recht potente Freier gehabt zu haben. Und irgendwann wird sie einem von ihnen begegnen …«
»Na und? Die meisten von denen sind verheiratet und haben viel zu viel Angst vor einem Skandal. Ich denke, sie hat das alles einkalkuliert. Und das Aussehen kann man schließlich auch verändern.«
Montag, 15.25 Uhr
Hellmer parkte den Wagen vor dem Haus mit der rosa Fassade, in dem Müller wohnte. Er klingelte, nichts rührte sich. Er klingelte erneut, wartete, schließlich ging ein Fenster auf, und Müller schaute heraus. Seine Haare waren zerzaust, sein Blick wirkte selbst auf diese Entfernung wirr.
»Wir sind’s noch mal. Ein paar Fragen nur«, sagte Durant.
Er brummte etwas Unverständliches, das Fenster wurde geschlossen, kurz darauf ertönte der Türsummer. Die Beamten gingen nach oben, wo der Junge und seine Schwester hinter ihrem Vater in der Tür standen. Der Junge trug noch immer seinen Schlafanzug, das Mädchen den Sweater.
»Was gibt’s denn?«, fragte er. Seine Augen waren glasig, er roch nach billigem Fusel.
Mein Gott, hier drin stinkt’s ja wie in einer Schnapsbrennerei. Der Kerl ist hackedicht, dachte Julia Durant.
»Herr Müller, wir müssten uns mit Ihnen allein unterhalten.«
»Kommen Sie mit ins Wohnzimmer. Und ihr macht die Tür hinter euch zu«, herrschte er seine Kinder an, die der Aufforderung sofort nachkamen.
Im Wohnzimmer standen zwei Flaschen Korn auf dem Tisch, eine leere, eine halb volle und daneben noch immer die Bierflaschen und die jetzt leere Flasche Remy Martin vom Vormittag. Durant wusste nun, dass Renate Schwab nicht übertrieben hatte. Asche auf dem Sessel, auf dem Fußboden. Die Heizung war aufgedreht, es war eine unerträglich stickige Luft in dem Zimmer.
»Sie trinken viel?«, fragte Durant, doch es klang weniger wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung, und sie setzte sich neben Hellmer auf die Couch.
»Na und? Ist doch eh alles scheißegal«, lallte er mit schwerer Zunge und ließ sich in den Sessel fallen. »Alles ist scheißegal!«
»Sind Sie überhaupt in der Lage, sich um Ihre Kinder zu kümmern?«
»Was geht Sie das an?«
»Im Augenblick eine Menge. Mir scheint es nämlich nicht so. Haben Sie nicht doch irgendwelche Verwandte oder Bekannte oder vielleicht Freunde, die sich in der nächsten Zeit der Kinder annehmen könnten?«
»Wir haben weder Verwandte noch Bekannte, noch Freunde. Wir kommen allein zurecht. Wir sind immer allein zurechtgekommen.«
»Das werden wir ja sehen. Aber nun zu etwas anderem. Ich habe Sie heute Morgen gefragt, ob Ihre Frau Tagebuch geführt hat. Sie
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