Der Jäger
Kleiderschrank sehen sollen, alles nur vom Feinsten. Chanel, Dior und so weiter. Und natürlich ein paar stinknormale Jeans, die sie vermutlich für die Vorlesungen angezogen hat. Und vom Schmuck wollen wir gar nicht erst reden, der blanke Wahnsinn.« Sie machte eine Pause, zündete sich eine Gauloise an, inhalierte, stellte sich ans Fenster und schaute hinunter auf die Straße. »Sie hat zwei Leben geführt, ein seriöses als Studentin und ein anderes. Sie …«
»Sie sprechen fast immerzu in der Vergangenheit«, sagte Berger. »Sie glauben doch wohl selbst nicht, dass sie noch lebt! Ich zumindest glaube nicht daran, nicht nach dem, was ihre Wohnungsgenossin uns über sie gesagt hat. Ich möchte einfach nur so schnell wie möglich wissen, wer sich hinter diesen Telefonnummern verbirgt. Die meisten davon sind übrigens Handynummern. Und sollte sie tatsächlich als Hure gearbeitet haben, dann wird das für den einen oder andern ganz schön unangenehm werden.«
»Wie viele Nummern sind es?«, fragte Berger.
»Über hundert. Die Kollegen sollen am besten gleich anfangen. Und ein Computerspezi soll sich mal den PC dieser Kassner genauansehen. Wenn möglich, auch das noch heute. Hellmer und ich müssen jetzt los, zu dieser Frau Schwab, die uns hoffentlich etwas über die Müller sagen kann. Wir machen uns dann mal auf den Weg. Wir kommen auf jeden Fall noch einmal ins Büro. Ich möchte so gegen sechs eine kurze Lagebesprechung durchführen. Und es sollen alle Kollegen anwesend sein.«
»Ich werde es veranlassen, Frau Durant«, sagte Berger grinsend, während Durant und Hellmer das Büro verließen.
»Warum hat er eben so gegrinst?«, fragte die Kommissarin.
»Warum wohl? Du hast
ihm
Anweisungen gegeben. Er ist eigentlich der Boss, aber ich schätze, er freut sich über dein Engagement in diesem Fall«, erwiderte Hellmer ebenfalls grinsend.
Julia Durant rollte mit den Augen und sah Hellmer lächelnd von der Seite an. »Es bleibt ja doch immer alles an mir hängen. Und wenn der mit seinem fetten Hintern den ganzen Tag nur im Sessel hockt …«
»Na ja, nicht unbedingt alles … Du musst zugeben, unser lieber Kullmer hat ganze Arbeit geleistet. Manchmal ist er eben doch ein Genie.«
»Er könnte es weit bringen, wenn er nur nicht so unbeständig wäre. Doch das mit dem Zeigefinger«, sagte sie kopfschüttelnd, »dass uns das nicht früher aufgefallen ist.«
Montag, 14.40 Uhr
Renate Schwab öffnete die Tür nach wenigen Sekunden. Sie wohnte im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Sie erwartete die Beamten bereits, eine auf den ersten Blick burschikos wirkende Frau, deren Gesicht, vor allem um die Nase und den Mund, von vielen Falten durchzogen war. Durant schätzte ihr Alter auf etwa vierzig. Sie trug eine schwarze Leggings und darüberein weit geschnittenes pinkfarbenes Sweatshirt, das ihre üppigen Rundungen nur unvollständig verdeckte. Sie hatte sehr kurzes hellblondes Haar, ihre Stimme war rauchig und tief, fast männlich.
»Sie sind von der Polizei?«, fragte sie und musterte die Beamten kritisch.
»Ja, wir haben vorhin miteinander telefoniert. Dürfen wir reinkommen?«
»Bitte, aber es ist nicht aufgeräumt. Ich habe die letzten Tage sehr viel um die Ohren gehabt und dazu noch die Sache mit Erika … Wir gehen am besten in die Küche, dort sind wir ungestört. Meine Tochter macht gerade Hausaufgaben, und mein Sohn hockt vor der Glotze.«
Die Küche war nicht nur nicht aufgeräumt, sie befand sich in einem geradezu chaotischen Zustand. Ungespültes Geschirr türmte sich in der Spüle, überall Essensreste, Zeitungen, zwei überquellende Aschenbecher. Das Fenster war seit Monaten nicht geputzt worden, der Vorhang vergilbt.
Durant und Hellmer nahmen sich jeder einen Stuhl und setzten sich mitten in das Chaos. Renate Schwab zündete sich eine Zigarette an und blieb am Fenster stehen.
»Frau Schwab«, sagte Durant, »Sie wissen sicherlich inzwischen, was mit Frau Müller geschehen ist?«
»Nein«, antwortete sie sichtlich nervös. »Ich habe zwar vorhin versucht bei ihr anzurufen, aber keiner hat den Hörer abgenommen.«
»Frau Müller ist tot. Man hat heute Nacht ihre Leiche gefunden.«
Renate Schwabs Augen wurden groß, sie nahm einen hastigen Zug an ihrer Zigarette.
»Mein Gott, Erika ist tot?«, stammelte sie. »Wie … Ich meine, was ist passiert?«
»Sie wurde umgebracht. Details kann ich Ihnen aber nicht sagen. Was uns interessiert, ist, was am vergangenen Freitag war. HerrMüller hat uns
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