Der Jäger
haben Nein gesagt. Wir haben jedoch inzwischen das Gegenteil erfahren. Würden Sie uns bitte das Tagebuch oder die Tagebücher geben?«
Er zuckte zusammen, beugte sich nach vorn. »Wer hat Ihnen das gesagt? Etwa eins von diesen Weibern?«, spie er verächtlich hervor und fuhr sich mit einer Hand durch das ungekämmte, fettige Haar.
»Wir wissen es, und damit basta! Geben Sie uns das Tagebuch, und schon sind wir wieder verschwunden. Allerdings wird es sich nicht vermeiden lassen, das Jugendamt zu verständigen. In Ihrem Zustand sind die Kinder nicht gut bei Ihnen aufgehoben.«
»Von was für einem gottverdammten Zustand sprechen Sie eigentlich?« Er ließ sich in seinen Sessel zurückfallen.
»Das wissen Sie selbst. Sie sind Alkoholiker, Herr Müller. Wenn Sie nur aus Trauer trinken würden, hätte diese Menge hier schon ausgereicht, um Sie umzubringen. Das hält nur jemand aus, der an Alkohol gewöhnt ist, und zwar an viel Alkohol. Und Ihre Frau ist nicht nur wegen ihres Vaters, wie Sie sagten, zu Al-Anon gegangen, sondern hauptsächlich Ihretwegen. Und Ihre Kinder sind noch zu klein, um sich selbst zu versorgen. Und nun hätten wir gerne das Buch, und sollten es mehrere sein, dann auch die.«
»Halten Sie doch die Klappe! Und jetzt verschwinden Sie, ich muss mal aufs Klo.«
»Erst sagen Sie uns, wo die Tagebücher sind, sonst stellen wir die ganze Wohnung auf den Kopf.«
Müller kratzte sich am Bauch und sah die Kommissarin aus roten Augen an. Er schien mit einem Mal hellwach. Er grinste.
»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
»Es dauert nur einen Anruf und danach etwa eine Viertelstunde, bis er hier ist. Und so lange warten wir.«
»Sie gehen mir gewaltig auf den Geist, wissen Sie das?! Aber bitte, damit die liebe Seele Ruh hat, sie hat ihre Tagebücher irgendwo im Nachtschrank oder im Kleiderschrank. Suchen Sie doch selbst! Zufrieden?«
»Nicht ganz. Um Ihre Kinder zu behalten, müssen Sie zum Entzug in eine Klinik, das ist die einzige Möglichkeit, sie wiederzubekommen.«
Müller lachte wirr auf und schüttelte den Kopf. »Was soll die Scheiße? Meine Frau ist tot, von irgendeinem Dreckschwein umgebracht, und jetzt wollen Sie mir auch noch die Kinder wegnehmen! Aber bitte, tun Sie, was Sie nicht lassen können. Machen Sie von mir aus, was Sie wollen, ich geh jetzt jedenfalls erst mal pinkeln. Suchen Sie die verdammten Tagebücher, und hauen Sie ab. Aber fragen Sie mich um Himmels willen nicht, wo die Schlüssel dafür sind.« Er stand auf, schwankte, torkelte ins Bad, knallte die Tür hinter sich zu.
Hellmer zog die Nachtschrankschublade heraus, nichts, er öffnete den Kleiderschrank, wühlte in der Unterwäsche und fand drei Tagebücher schließlich hinter den Strümpfen. Julia Durant rief bei Berger an. Er müsse sofort jemanden vom Jugendamt vorbeischicken, um die Kinder abzuholen. Danach verließen sie die Wohnung. Vor dem Haus blieben sie noch einen Moment stehen.
»Es sind immer die Kinder, die leiden. So besoffen, wie der ist,kann man mit ihm nicht vernünftig reden. Scheiße«, stieß Hellmer wütend hervor. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, stiegen sie in den Wagen.
»Und jetzt nach Niederrad. Mal sehen, was uns dort erwartet.«
Montag, 16.30 Uhr
Niederrad, Kelsterbacher Straße. Ein älteres, doch sehr gepflegtes Haus. Die tief stehende Sonne hatte sich hinter ein paar Wolken verzogen, als die Beamten aus dem Lancia stiegen. Julia Durant atmete ein paar Mal kräftig durch und sah Hellmer an, der nur die Schultern zuckte. Sie gingen auf das Haus zu, in dem es sechs Wohnungen gab. Hellmer drückte auf die Klingel neben dem Schild J.K. Als niemand öffnete, klingelte er ein weiteres Mal, nichts. Die Haustür war verschlossen.
»Okay, versuchen wir’s eben woanders.« Er drückte einfach wahllos auf eine Klingel, nach einem kurzen Augenblick ertönte eine weibliche Stimme durch den Lautsprecher.
»Verzeihung, wir sind von der Polizei und möchten zu Frau Kassner. Könnten Sie uns bitte die Tür öffnen?«
»Polizei? Warten Sie, ich komme runter.«
Es war eine junge Frau etwa Ende zwanzig. Hellmer hielt ihr seinen Ausweis hin, sie warf einen Blick darauf und fragte: »Ist irgendwas passiert?«
»Keine Ahnung, deswegen sind wir hier. Kennen Sie Frau Kassner?«
»Meinen Sie die junge Frau, bei der bloß J.K. an der Klingel steht?«
»Genau die.«
»Nein, nur vom Sehen. Ich habe noch nie mit ihr gesprochen. Sie wohnt im zweiten Stock.«
»Gibt es hier einen
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