Der Jäger
sie mit fester Stimme.
»Aha. Und was macht Sie da so sicher?«
»In der Kriminalgeschichte gibt es meines Wissens nach keinen belegten Fall, in dem ein Serienmörder, der nach einem derart ausgeklügelten Muster vorgeht, plötzlich diesem Muster nicht mehr folgt. Es wäre einfach ein Novum.«
»Es gibt sehr wohl Fälle …«
»Natürlich. Aber wer immer sie gebumst hat,
er
war es nicht.«
»Und wie hat sich Ihrer Meinung nach der Sonntag abgespielt?«
»Sie hat entweder einen Freier empfangen, was ich für eher unwahrscheinlich halte, da sie dann ein Kondom benutzt hätte, oder sie hatte, wovon ich inzwischen überzeugt bin, einen festen Liebhaber, bei dem sie sichergehen konnte, dass er sie nicht anstecken würde.«
»Eine Hure und ein fester Liebhaber?«, fragte Berger zweifelnd und fuhr sich übers Doppelkinn.
»Hab ich sie gestern auch schon gefragt«, sagte Hellmer, der plötzlich in der Tür stand, an den Rahmen gelehnt, die Arme über der Brust verschränkt.
»Warum nicht? Haben Sie mir gestern nicht gesagt, dass zum Beispiel einer ihrer Freier, ein gewisser Kreuzer, zuletzt vor einem Jahr bei ihr war? Was, wenn sie ihr Gewerbe aufgegeben hat?«
»Ein derart einträgliches Gewerbe?«, fragte Berger mit ungläubigem Blick. »Niemals!«
»Nehmen wir an, sie hat einen finanziell potenten Mann kennen gelernt, er hat sich in sie verliebt, ob sie sich in ihn, lassen wir dahingestellt, er hat gesagt, dass er nicht möchte, dass sie als Hure arbeitet, und hat ihr den Gewinnausfall bezahlt. In Frankfurt und Umgebung wohnen bekanntlich sehr viele sehr reiche Männer. Und sich eine Mätresse zu halten soll angeblich immer mehr in Mode kommen. Zumindest in bestimmten Kreisen. Und sollte ich Recht haben, dann brauchte er auch kein Kondom. Und umgebracht hat er sie mit Sicherheit nicht. Ich schätze, er dürfte so zwischen vierzig und Mitte fünfzig sein, zu Hause läuft nicht mehr viel mit seiner Frau, er braucht eine junge, feurige Geliebte, die dazu noch eine angenehme Gesprächspartnerin ist und mit der er sich in der Öffentlichkeit zeigen lassen kann, und dafür ist er bereit, jeden Preis zu zahlen …«
»Und Sie glauben allen Ernstes, eine Ehefrau würde so was dulden?«, fragte Berger zweifelnd.
»Ach kommen Sie, in bestimmten Kreisen, das wissen Sie selbst, ist das gang und gäbe. Die Ehefrauen leben wie die Made im Speck und akzeptieren, wenn nach zwanzig oder dreißig Jahren Ehe der Mann sein Vergnügen bei einer andern sucht. Sie sagen sich, was soll ich auf irgendwelchen Empfängen oder Festen, wo ich mich doch nur langweile, also soll er doch mit seiner Geliebtenhingehen. Das ist nun mal so. Wir leben nicht mehr in den fünfziger Jahren. Und eine Judith Kassner, die vielleicht schon seit längerem mit dem Gedanken gespielt hat, ihr Gewerbe allmählich aufzugeben, um sich mehr ihrer beruflichen Zukunft zu widmen, wird nicht lange gezögert haben, dieses verlockende Angebot anzunehmen …«
»Das ist aber reine Spekulation, Frau Kollegin«, bemerkte Berger.
»Spekulation hin, Spekulation her, für mich hat es sich so abgespielt. Wir werden ja sehen, wer Recht hat. Wir müssen alle in der Liste aufgeführten Männer befragen, diskret natürlich, um herauszufinden, wann sie zuletzt mit Judith Kassner zusammen waren. Sie haben gestern ja gesagt, dass wir ab heute eine Soko von sechzig Mann haben werden. Somit haben wir auch genug Personal, um die Befragungen so schnell wie möglich durchzuführen. Wobei ich gleich hinzufügen möchte, dass ich ein paar davon gerne selbst übernehmen würde.«
»Und an wen denken Sie da?«, fragte Berger.
»Professor Richter, van Dyck, Kleiber und Maibaum. Außerdem will ich noch einmal Frau Randow, die Mutter von Juliane Albertz, und die Eltern von Carola Weidmann befragen.«
»Gibt es besondere Gründe dafür?«
»Zum Teil. Mich interessieren aber vor allem Richter und Kleiber. Ich will Richter mal ein bisschen auf den Zahn fühlen und sehen, ob wir ihn in diesem Fall als Profiler einsetzen können. Er hat zwar diesen gewissen Instinkt, aber vorher muss ich wissen, ob er was mit der Kassner hatte. Und auf Kleiber bin ich einfach neugierig, da ich einige seiner Bücher gelesen habe. Na ja, und die Mutter von Albertz weiß mehr, als sie uns damals gesagt hat. Ich dachte, sie wäre wegen ihrer Krankheit so abweisend und kühl. Inzwischen bin ich jedoch überzeugt, dass sie uns etwas verschwiegen hat. Und wenn es nur die Tatsache ist, dass ihre Tochter vielleicht
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