Der Jäger
auf den nächsten wieder mit dem Trinken. Es war ein ständiges Auf und Ab, Hoffnung und tiefer Fall. Schließlich folgende deprimierende Eintragung.
17. April
Wie sehr hatte ich gehofft, er würde diesmal durchhalten, wie sehr hatte ich mich gefreut über seinen guten Willen. Und warum das jetzt wieder? Ich hatte vorgestern doch Recht, ich habe es gerochen. Was habe ich dir getan, sag es mir doch? Aber immer, wenn ich ihn darauf anspreche, schweigt er. Er schweigt und säuft. Morgens zur Arbeit, mein Gott, wie hält er das nur aus, und wieso merkt keiner von seinen Kollegen etwas? Und abends vor den Fernseher und trinken. Lieber Gott, kannst Du ihm denn nicht helfen? Lass ihn von mir aus krank werden, so krank, dass er für einige Monate in eine Klinik muss, wo er nichts trinken darf. Ich liebe ihn noch immer, aber ich halte den Zustand nicht mehr aus. Ich brauche Liebe, nicht nur Worte, ich brauche ihn, seinen Körper. Bin ich etwa doch schuld, dass er trinkt?
Die Seiten waren gefüllt mit Vorwürfen und Selbstvorwürfen, der heimlichen Drohung, ihn zusammen mit den Kindern zu verlassen, dann wieder, doch bei ihm zu bleiben, weil es vielleicht ihre Bestimmung war. Eine in sich zerrissene, desillusionierte Frau. Eine Frau, die sich nichts sehnlicher wünschte als Liebe und Geborgenheit. Der einzige Halt war ihre allwöchentliche Gruppe, wo sie sich mit Frauen traf, die ein gleiches oder ähnliches Schicksal miteinander verband.
Schließlich eine Eintragung, die sich ganz wesentlich von den andern unterschied und die Julia Durant zusammenzucken ließ.
16. August
Ich werde mir einen Anwalt nehmen. Ich kann und will nicht mehr. Erst mein Vater, dann er. Warum habe ich ihn gewählt? Warum wieder einen Alkoholiker? Habe ich in ihm einen Vater gesehen? Meinen Vater, wie mein Therapeut sagt? Ihn habe ich ebenfalls geliebt, auch wenn er sich zu Tode gesoffen hat. Aber das ist jetzt egal. Mir sind die Augen geöffnet worden. Die vielen Abende in der letzten Zeit, in denen er weg war und ich dachte, er würde sein Bier in der Kneipe trinken, hat er mit einer andern verbracht. Diese Demütigung ist zu viel für mich. Lieber Gott, ich habe bis jetzt alles ausgehalten, aber eine andere Frau, das kann und will ich nicht ertragen. Soll sie sich um ihn kümmern, soll sie seine Wäsche waschen, nachts seinen stinkenden Atem riechen, wenn er besoffen und schnarchend neben ihr liegt. Ich will sie gar nicht kennen lernen, sie ist mit Sicherheit keinen Deut besser als ich. Oder sie ist blind. Oder, was noch viel demütigender wäre, mit ihr kann er bumsen. Das letzte Mal hat er vor ziemlich genau vier Monaten mit mir geschlafen. Zehn Minuten lang. Schlappschwanz! Er wird auf jeden Fall in Zukunft ohne mich auskommen müssen. Ich werde die Scheidung einreichen. Schluss, Schluss, Schluss!!!
»Wow«, entfuhr es der Kommissarin, die sich eine weitere Zigarette ansteckte und hastig inhalierte. »Mein lieber Scholli, das war’s also! Nicht nur Saufen, auch noch eine andere Frau. Die Männer sind doch alle gleich«, sagte sie zu sich selbst mit abfällig herabgezogenen Mundwinkeln. »Alles Schweinehunde!«
Unwillkürlich dachte sie an ihren Exmann, der zwar kein Alkoholiker war, dafür vor keinem Rock Halt machte, unter dem ein einigermaßen attraktiver Körper steckte. Und sie erinnerte sich der anderen Enttäuschungen der letzten Zeit. Wie lange war esher, dass sie zuletzt mit einem Mann geschlafen hatte? Sie schloss die Augen und überlegte, während sie das Buch in der Hand hielt. Vor ziemlich genau elf Wochen, es war im August gewesen, an einem dieser unglaublich heißen Tage in diesem schier endlosen Sommer, als sie ihn in einer, in ihrer Bar kennen gelernt hatte. Er hatte das gewisse Etwas gehabt, diesen gewissen Blick, der ihr gesamtes Inneres in Aufruhr gebracht hatte. Er war kaum größer gewesen als sie, aber die Größe eines Mannes hatte sie eigentlich nie interessiert. Es waren mehr die Augen, die Hände und der Mund, auf die sie achtete. Und er hatte schöne Augen, gepflegte Hände, mit langen, schmalen Fingern, und einen Mund, der zum Küssen förmlich einlud. Sie hatte mit ihm geschlafen, zwei Nächte lang, bis er ihr gestand, am nächsten Tag wieder nach Hamburg zu müssen, er habe nur geschäftlich in Frankfurt zu tun gehabt. Er hatte versprochen, sich zu melden, hatte aber weder eine Adresse noch eine Telefonnummer hinterlassen. Er war einfach verschwunden, und sie hatte nichts mehr von ihm gehört. Wahrscheinlich
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