Der Jäger
Befragungen verlangt worden war, verließen Durant und Hellmer das Präsidium. Ihr erster Weg führte sie zur Mutter von Juliane Albertz. Sie hofften inständig, sie anzutreffen. Sie wohnte zusammen mit ihrer Enkelin bei ihrer anderen Tochter in der Gustav-Freytag-Straße in Ginnheim.
Auf der Fahrt dorthin fragte Hellmer: »Sag mal, wie ist es eigentlich gestern bei der Freundin von dieser Kassner gelaufen?«
»Besser, als ich dachte. Sie trägt es mit Fassung.« Sie hielt inne, zündete sich eine Gauloise an und fuhr fort: »Du erinnerst dichdoch noch an den Schmuck, den wir bei der Kassner gefunden haben. Ich habe ein paar Stücke davon mitgenommen.«
»Wofür? Zur Untersuchung?«, fragte Hellmer, während sie an einer Ampel hielten.
»Nein. Ich sag’s nur dir, aber du musst mir versprechen, zu keinem Menschen auch nur ein Wort darüber zu verlieren.«
»Jetzt mach’s nicht so geheimnisvoll …«
»Du weißt doch, die Faun kann die Wohnung alleine nicht unterhalten. Und ich dachte mir, ich helfe ihr ein wenig.«
Hellmer drehte den Kopf in Durants Richtung und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich verstehe nicht ganz, was du meinst.«
»Du hast doch die Sachen gesehen. Außer dir und mir weiß bis jetzt keiner, was genau sie an Schmuck besessen hat. Und da habe ich ihr einfach versprochen, ein paar Teile davon zu verkaufen.«
»Sag mal, bist du jetzt total übergeschnappt? Wenn das rauskommt, kriegst du ein Verfahren an den Hals gehängt und kannst in Zukunft Knöllchen verteilen, wenn du nicht ganz rausfliegst.«
»Es kommt nicht raus, wenn du den Mund hältst. Stell dich nicht so an. Es kann schließlich nicht jeder so reich sein wie ihr.«
»Es ist trotzdem ungesetzlich. Aber gut, es ist dein Problem, ich weiß von nichts. Du bringst manchmal wirklich die tollsten Dinger.«
»Tja, das bin eben ich. Und jetzt mach kein Drama draus, es wird schon alles gut gehen. Es gibt im Augenblick Wichtigeres, auf das wir uns konzentrieren müssen.«
»Du bist der Boss«, sagte Hellmer und grinste auf einmal. »Und wenn ich’s mir recht überlege, hätte ich unter Umständen genauso gehandelt. Du hast ihr schließlich die Nachricht überbringen müssen. Es ist zwar gegen das Gesetz, doch wenn unsere hohen Herren Politiker das Gesetz beugen können, wie es ihnen in den Kram passt …«
»So gefällst du mir«, sagte die Kommissarin mit einem Lächeln.
Frau Randow kam nach dem Klingeln selbst an die Tür. Offensichtlich hatte sie sich während des letzten Jahres von ihrer Krankheit erholt. Sie steckte den Kopf durch den Türspalt, ihr graues Haar war streng zurückgekämmt, ihre Augen blitzten kurz auf.
»Ja, bitte?«
»Durant und mein Kollege Hellmer von der Kriminalpolizei. Wir haben uns letztes Jahr schon kennen gelernt.«
»Ja, und?«
»Dürfen wir reinkommen? Zwischen Tür und Angel kann man sich schlecht unterhalten.«
»Was wollen Sie?«, fragte Frau Randow.
»Das möchten wir Ihnen gerne drinnen sagen.«
Widerwillig machte sie die Tür auf und ließ die Beamten an sich vorbeitreten.
»Wollen Sie wieder in alten Wunden herumrühren?«, fragte sie barsch und musterte dabei die Kommissare mit durchdringendem Blick. Sie ging vor ihnen in das Wohnzimmer. Ihr Gang war gerade, ihre Stimme nicht mehr schleppend und schwach wie noch vor einem Jahr. »Ich dachte, wir hätten endlich unsere Ruhe gefunden.«
»Wir werden Sie nicht lange stören«, erwiderte Julia Durant.
»Wir haben lediglich ein paar Fragen an Sie. Und sobald Sie die beantwortet haben, sind wir auch schon wieder weg.«
»Bitte, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Sie deutete auf die Couch, die Kommissare nahmen Platz. Sie selbst saß kerzengerade in dem Sessel, die Beine eng geschlossen, die gefalteten Hände lagen auf den Knien. »Das Haus gehört meinem Schwiegersohn. Meine Tochter und er sind zum Glück nicht da, und meine Enkelin ist in der Schule. Aber bitte, fassen Sie sich kurz. Ich habe in einer Stunde einen Arzttermin.«
»Frau Randow, es geht noch einmal um Ihre Tochter Juliane …«
»Sie ist seit einem Jahr tot, und ich wüsste nicht, was es jetztnoch an Fragen geben könnte. Oder haben Sie etwa den Täter gefasst?«, fragte sie kalt.
»Nein, das haben wir nicht«, antwortete Julia Durant ruhig und beherrscht. »Aber es gibt Indizien, dass Sie uns damals nicht alles gesagt haben, was uns hätte weiterhelfen können. Zum Beispiel, ob Ihre Tochter ein Tagebuch geführt hat.«
»Meine Tochter hat kein Tagebuch
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