Der Jäger
meine Beine breit mache, und dann hat sie mir dieses fürchterliche Ding … Es hat so schrecklich wehgetan, und mit einem Mal war das Laken voller Blut. Und sie hat nur gelacht und gemeint, ich sei jetzt eine Frau. Ich wusste damals doch gar nicht, was das bedeutete. Dann hat sie mich auf einmal in den Arm genommen und gestreichelt und gesagt, ich solle mir keine Gedanken darüber machen und es einfach vergessen. Und es sollte für immer unser Geheimnis bleiben. Und dann hat sie mir noch irgendwie gedroht, dass man mich, wenn ich irgendjemandem davon erzählen würde, nur auslachen würde. Sogar mein Vater würde mich auslachen. Ich würde mich zum Gespött der Leute machen, hat sie gesagt.«
»Es ist gut, Maria. Lass alles raus. Und du brauchst überhaupt keine Angst zu haben, dass ich irgendetwas davon deinen Eltern erzähle.«
»Warum hat sie das mit mir gemacht?«, fragte sie leise und unter Tränen. »Warum? Ich bin doch ihre Tochter! Aber ich weiß auch, dass sie viel lieber einen Sohn gehabt hätte. Ich erinnere mich jetzt wieder, sie hat es mir ein paar Mal gesagt, als ich nochklein war, aber auch immer nur, wenn wir allein waren. Das ist wohl der Grund, sie wollte einen Sohn und nicht mich. Ich glaube, sie würde es viel lieber sehen, wenn ich tot wäre. Mein Gott, das darf nicht wahr sein! Das darf einfach nicht wahr sein! Sie ist doch meine Mutter!«
»Kannst du dich an noch mehr erinnern?«
»Ich weiß nicht, ich war fünf oder sechs, wir hatten einen Hund, einen wunderschönen Collie,
ihren
Hund. Er hieß Prince Edward, ich habe mit ihm im Garten gespielt, ich habe ihm Bälle zugeworfen. Einer davon ist in den Pool gefallen und Prince Edward hinterher. Meine Mutter ist herausgekommen und furchtbar wütend geworden. Sie hat mich angeschrien, was mir einfalle, der Hund dürfe niemals in den Pool, sie habe es mir schon oft genug gesagt. Sie hat mich danach wortlos geschnappt, in den Keller geschleppt, wo wir einen großen Kühlschrank hatten. Sie hat ihn ausgeräumt, mich hineingeschubst und die Tür zugemacht. Ich weiß noch, dass ich mich schon als kleines Kind gefragt habe, ob das Licht denn ausgeht, wenn man die Kühlschranktür zumacht; ab da wusste ich es. Es war dunkel und kalt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange sie mich im Kühlschrank gelassen hat, aber als sie mich rausholte, habe ich nicht gefroren, obwohl ich nur eine kurze Hose und ein dünnes Hemdchen angehabt hatte.«
»Sie hat es also immer gemacht, wenn dein Vater nicht zu Hause war und auch sonst keine Bediensteten da waren, richtig?«
»Ja, wir waren immer allein. Aber sie hat mich nicht umgebracht, sie hat mich nur gequält. Und jetzt weiß ich auch, warum sie mit allen Mitteln verhindern wollte, dass ich zu Ihnen komme. Zum Glück hat mein Vater darauf bestanden. Was passiert jetzt mit mir?«, fragte sie.
»Wir werden noch viele Sitzungen benötigen, ich werde dich noch einige Male in Hypnose versetzen, und dann denke ich, werden wir deine Angstzustände in den Griff bekommen.«
»Aber wie kann ich ihr noch unter die Augen treten? Ich meine, ich sehe sie jeden Tag, ich lebe mit ihr unter einem Dach, ich bin nicht mehr frei im Kopf …«
»Doch, das bist du. Das, was dich in den vergangenen Jahren so sehr belastet hat, hat jetzt einen Namen. Die Angst ist nicht aus heiterem Himmel erschienen, sie hat eine Ursache. Und nicht du bist für diese Angst oder die Ursache davon verantwortlich, sondern deine Mutter. Das musst du dir immer wieder sagen. Versuch einfach ihr gegenüber so zu sein, wie du immer bist. Sieh in ihr nicht irgendein Monster, sondern einfach nur eine Frau, die im selben Haus wohnt wie du. Eine Frau, die möglicherweise ebenfalls ein sehr schweres Problem mit sich herumträgt.«
Richter hielt inne, ging zu seinem Schreibtisch, holte eine Schachtel Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Diese Sitzung hatte ihn angestrengt, er war nervös, stellte sich ans Fenster und sah hinaus. Maria van Dyck erhob sich und stellte sich neben ihn.
»Kann ich auch eine Zigarette haben?«, fragte sie.
»Du rauchst?«
»Nur ab und zu, wenn ich mit meiner Freundin zusammen bin.
Jetzt hätte ich gerne eine.«
Sie nahm sich eine Zigarette, Richter gab ihr Feuer.
»Ich werde mit deinem Vater sprechen.«
»Nein, bitte nicht!«
»Ich muss es tun. Ich werde ihm aber nichts von dem erzählen, was du mir gesagt hast. Ich werde ihm lediglich erklären, dass es besser wäre, wenn du eine eigene Wohnung hättest. Mir
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