Der Jäger
gemacht hat?«
Maria van Dyck schluckte schwer, ihr Blick ging ins Leere. »Ich bin vorgestern ins Badezimmer gegangen, die Tür war nicht abgeschlossen. Ich habe meine Mutter gesehen, wie sie meiner Cousine die Haare gewaschen hat. Meine Tante ist für zwei Tage weggefahren und hat meine Mutter gefragt, ob Caroline in der Zeit bei uns bleiben dürfe. Und als ich gesehen habe, wie sie Caroline die Haare gewaschen hat, sind mit einem Mal ganz merkwürdige Sachen durch meinen Kopf gegangen. Ich weiß, das hört sich blöd an, aber es war so. Es sind Bilder aufgetaucht, die mich erschreckt haben.«
»Maria, wie ist das Verhältnis zwischen dir und deiner Mutter?«
Maria van Dyck zuckte Schultern. »Weiß ich selber nicht. Manchmal glaube ich, ich habe gar kein Verhältnis zu ihr. Es gibt Momente, da ist sie wie eine Fremde für mich. Und dann wieder benimmt sie sich, als wäre sie meine beste Freundin.«
»Wie war sie denn, als du ein Kind gewesen bist? War sie liebevoll und zärtlich, hat sie dich oft gestreichelt? Oder hat sie dir jemals Gewalt angetan? Kannst du dich daran erinnern?«
Sie blickte zu Boden und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ich glaube nicht.«
»Du glaubst es nicht? Also bist du dir nicht sicher?«
»Spielen Sie das Band ab, dann weiß ich es vielleicht.«
»Du weißt es auch so. Die Szene vor zwei Tagen im Bad, welche Bilder sind da in deinem Kopf entstanden?«
Maria van Dyck kniff die Augen zusammen. Sie trank einen kleinen Schluck, und es schien, als hielte sie sich an ihrem Glas fest. »Ich weiß nicht, irgendwie dreht sich alles in meinem Kopf. Es ist meine Mutter. Sie …« Maria van Dyck stockte und sah Richter mit großen, ungläubigen Augen an. Ihr Mund war einen Spaltweit geöffnet, die Lippen hatten sich wieder mit Blut gefüllt, die Blässe unter ihrer Haut war verschwunden.
»Sie …?«, hakte er nach und beugte sich leicht nach vorn.
»Ich weiß es nicht genau, aber …« Wieder eine kurze Pause, ein weiterer Schluck.
»Du warst mit deinen Freundinnen Stephanie, Ines, Manuela und Doris zusammen. Ihr wart im Pool, habt rumgetobt und mit dem Ball auf dem Rasen gespielt. Und dann sind deine Freundinnen gegangen, weil deine Mutter sie weggeschickt hat. Danach hat sie gesagt, du sollst noch ein Bad nehmen. Was ist dann geschehen?«
Maria van Dyck runzelte die Stirn, ihre Finger drehten nervös das Glas zwischen den Händen. Plötzlich sagte sie leise, fast flüsternd: »Sie hat mir die Haare gewaschen und …«
»Und?«
Tränen traten ihr in die Augen, sie hatte Mühe zu sprechen. »Sie hat mich unter Wasser gedrückt. Ich habe nur ihr Gesicht gesehen, diesen Hass in ihren Augen. Sie wollte mich, glaube ich, umbringen. Ich war aber eine sehr gute Schwimmerin und konnte gut tauchen, damals zumindest. Also habe ich die Luft angehalten und sie die ganze Zeit über angesehen. Und als ich dachte, ich wäre gleich tot, hat sie mich plötzlich aus dem Wasser gezogen und auf den blauen Badvorleger gelegt. Sie hat mich in ein großes weißes Handtuch eingewickelt und ist wortlos nach unten gegangen. Das ist es, ich erinnere mich wieder ganz genau daran. Als wenn es gestern gewesen wäre.«
»War es das einzige Mal, dass sie das mit dir getan hat?«, fragte Richter, der sich eifrig Notizen machte.
Schlag auf Schlag kehrten die Erinnerungen zurück, schneller, als Richter es für möglich gehalten hatte. Aus Maria van Dyck sprudelte es heraus. »Ich war acht oder neun, und ich war mit ihr allein zu Hause. Ich habe sie gerufen, doch sie hat nicht geantwortet. Ich wusste aber, dass sie da war, also bin durch das ganzeHaus gegangen, bis ich schließlich oben am Schlafzimmer war.« Ihre Augen bewegten sich unruhig, und sie hielt das Glas so fest, dass Richter meinte, es könnte gleich zerspringen. Er nahm es ihr behutsam aus der Hand.
»Ich habe sie auf dem Bett liegen sehen. Sie war nackt, und sie hat sich mit einem … sie … hat sich mit so einem Ding … sie, sie hat sich selbst befriedigt. Als ich im Zimmer stand, hat sie mich angesehen und gelacht und gesagt, ich solle zu ihr kommen. Ich habe einfach gehorcht, denn sie konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn man ihr nicht gehorchte. Sie hat mich aufs Bett gezerrt und gesagt, nein, sie hat befohlen, dass ich mich ausziehen soll. Als ich nackt war, hat sie …« Maria van Dyck rang um Fassung, ballte die Fäuste und schlug immer und immer wieder auf die Sessellehne. Schluchzend fuhr sie fort: »Sie hat verlangt, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher