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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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wird schon ein Grund einfallen, den er einsieht.«
    »Ich habe noch nie allein gelebt. Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte Maria van Dyck zweifelnd.
    Richter überlegte, fuhr sich mit einer Hand übers Kinn und sah seine Patientin an. »Ich kenne eine junge Frau, die allein lebt und eine Mitbewohnerin sucht, weil ihr die Wohnung einfach zu groß ist. Es ist gar nicht weit von hier. Wenn du willst, rufe ich sienoch heute an und frage sie, ob du bei ihr einziehen kannst. Dann bist du nicht ganz allein.«
    Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte Maria van Dyck, und Dankbarkeit war in ihren jetzt smaragdgrünen Augen zu lesen.
    »Ich werde wohl nie begreifen, warum sie das getan hat. Aber vielleicht werde ich sie eines Tages danach fragen. Irgendwann, wenn ich bereit dafür bin. Irgendwann.« Sie machte eine Pause und sah wieder aus dem Fenster. »Sie kennen meine Eltern seit drei Jahren, Sie sind mit meinem Vater befreundet. Wie werden Sie sich ihnen gegenüber verhalten?«
    »Hast du Angst, ich könnte ihnen etwas von dem sagen, was du mir erzählt hast?«
    »Vielleicht.«
    »Hattest du jemals das Gefühl, dass ich auch nur ein Wort über das, was hier besprochen wurde, ihnen gegenüber verlauten ließ?«
    »Ja.«
    »Gut, das mag stimmen, als du noch siebzehn warst. Da musste ich mit ihnen über deinen Zustand sprechen. Aber jetzt bist du volljährig, und somit unterliege ich der Schweigepflicht. Weder dein Vater noch deine Mutter werden auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren. Du kannst mir vertrauen.«
    Wieder Schweigen. Maria van Dyck überlegte. Sie sah Richter an. »Wenn Sie es mir versprechen, dann ist es in Ordnung. Sollte ich aber jemals erfahren, dass Sie mit ihnen
darüber
geredet haben, sehen Sie mich nie wieder.«
    »Ich gebe dir mein Wort. Und ruf mich am besten heute gegen sechs an, dann weiß ich vielleicht schon mehr, was die Wohnung betrifft. Ab halb sieben bin ich allerdings nicht mehr zu erreichen.«
    »Danke.« Maria van Dyck blickte auf die Uhr, es war schon fast halb eins. »Die Stunde ist längst rum«, sagte sie und lächelte wieder. »Ich gehe dann mal, und ich rufe Sie an.«
    »Warte«, sagte Richter und zog eine Schublade seines Schreibtischsheraus. »Hier, das ist ein Beruhigungsmittel. Es ist die schwächste Dosierung, ich möchte dich aber bitten, nicht mehr als drei Pillen am Tag davon zu nehmen. Morgens, mittags und abends, am besten vor dem Essen. Es verträgt sich übrigens gut mit dem andern Medikament. Und jetzt muss ich dich leider rausschmeißen«, sagte er lächelnd, »ich bekomme gleich Besuch. Und vergiss nicht, mich nachher anzurufen. Und noch was – ich hätte morgen Nachmittag Zeit für dich. Wir sollten uns jetzt öfter als nur einmal pro Woche unterhalten. Kannst du um drei hier sein?«
    »Ja.«
    »Gut, dann bis morgen um drei.«
    Er begleitete Maria van Dyck zur Tür. Als sie dort waren, sagte sie: »Ich glaube, die nächste Zeit wird noch einmal sehr hart werden.«
    »Du wirst es überstehen. Wir beide kennen jetzt die Ursache deiner Angst. Alles weitere ergibt sich. Tschüss und mach’s gut.«
    Er drehte sich um, ging in sein Arbeitszimmer, schenkte sich einen Cognac ein und trank ihn in einem Zug leer. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. In seinen Schläfen hämmerten ein paar eifrige Arbeiter. Er hätte alles für möglich gehalten, er hätte die Ursache für Maria van Dycks Ängste überall vermutet, nur nicht bei ihrer Mutter. Er verfluchte dieses Leben, sein Leben, das er nicht in den Griff bekam und wohl auch nie bekommen würde. Er kannte Marias Mutter seit mehr als drei Jahren, er kannte sie gut, sehr gut sogar. Er kannte Claudia van Dycks Spott, ihre aufreizende Art, ihren Ehrgeiz, alles so perfekt wie möglich zu machen. Er kannte sie aber vor allem als seine heimliche Geliebte. Sie konnte im Bett eine wahre Teufelin sein, eine, die ihn manchmal schier um den Verstand zu bringen schien. Er wusste auch, dass sie zu lieben und zu hassen vermochte wie kaum eine andere. Aber dass sie ihre eigene Tochter missbraucht und fast getötet hatte, das konnte er nicht begreifen.
    Sie hatten sich für heute Abend in einer Wohnung verabredet, die sie extra für diese Schäferstündchen gemietet hatte. Aber er konnte ihr nicht länger unvoreingenommen gegenübertreten, nicht nach dem, was Maria ihm soeben erzählt hatte. Er schenkte sich einen weiteren Cognac ein und hatte das Glas gerade ausgetrunken, als es klingelte. Er stand auf und ging zur

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