Der Jäger
Tür.
Dienstag, 12.30 Uhr
Sie warteten etwa zwanzig Minuten in ihrem Wagen. Julia Durant sagte, während sie rauchte: »Was für ein Unterschied zwischen der alten Randow und der Weidmann. Und wie offen die ist, was? Sogar über Dessous spricht sie mit uns. Stehst du eigentlich auf Strapse und so Zeugs?«
»Welcher Mann tut das nicht?«, fragte er grinsend zurück.
»Turnt dich so was an?«
»Wenn ich nicht gerade einen Zwanzig-Stunden-Tag hinter mir habe. So, ich glaube, wir können jetzt reingehen«, meinte Hellmer nach einem Blick auf die Uhr. Und nachdem er die Wagentür abgeschlossen hatte, fügte er hinzu: »Ich kann dir sagen, Nadine hat Dessous, und was für welche!«
»Erzähl’s mir später, oder ich könnte sie mir ja auch heute Abend ansehen, ich meine, Nadine könnte sie mir zeigen. Vielleicht hab ich dann mal endlich Chancen bei Männern.«
»Die hast du auch so …«
»Und warum hab ich bis jetzt immer Pech gehabt, du Schlaumeier?«
»Woher soll ich das wissen? Wenn ich Nadine nicht geheiratet hätte, wer weiß, vielleicht wäre über kurz oder lang was aus uns geworden.«
»Was bist du eigentlich für ein Sternzeichen?«, fragte Julia Durant.
»Steinbock.«
»Steinbock und Skorpion. Könnte hinhauen, obwohl ich mich damit überhaupt nicht auskenne. Aber es hätte unter Umständen was werden können. Schade, ich bin halt wieder mal einen Schritt zu langsam gewesen. Und außerdem hätte ich dir nie den Luxus bieten können wie Nadine. Eine solche Frau findest du nur einmal im Leben, schön und reich.«
»Du weißt genau, dass Geld mir nicht so viel bedeutet. Es ist nett, wenn man es hat, aber sobald man nur noch darauf fixiert ist, ist es wie ein Dämon. Nadine und ich leben eigentlich ganz normal. Und es muss auch nicht jeder wissen, wie viel wir haben.«
Sie gingen langsam auf das Haus von Professor Richter zu, als ihnen eine junge Frau mit langem braunem Haar entgegenkam. Sie machte einen etwas verstörten Eindruck, sah die Beamten kurz an und huschte an ihnen vorbei. Hellmer drückte auf den Klingelknopf, und sie warteten, bis die Tür aufgemacht wurde.
»Ah, Frau Durant und Herr Hellmer. Kommen Sie rein, wir sind völlig ungestört. Meine Patientin ist eben gegangen.«
»Die junge Frau mit den braunen Haaren?«, fragte Durant.
»Ja.«
»Was macht eine so junge und hübsche Frau bei einem Therapeuten?«
»Das darf ich Ihnen leider nicht verraten. Aber es ist ein sehr schwieriger Fall, der selbst mich alten Hasen ziemlich mitnimmt. In diesem Beruf trifft man ständig auf neue Abgründe der Seele. Nehmen Sie bitte Platz, und sagen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.«
»Es gibt zwei Dinge, Professor Richter, weshalb wir Sie aufsuchen«, erklärte Durant und zündete sich eine Zigarette an, nachdem sie registriert hatte, dass ein Aschenbecher auf dem Tisch stand und es im Zimmer nach Rauch roch. »Ich will auch nicht lange um den heißen Brei herumreden, deshalb gleich meine erste Frage. Kennen Sie eine Judith Kassner?«
Die Kommissarin verfolgte jede Regung in Richters Gesicht, der ihrem Blick standhielt. »Judith Kassner.« Er überlegte, zog die Stirn in Falten, schließlich fiel es ihm ein. »Ja, doch, natürlich, ich kenne sie, aber nur flüchtig. Was ist mit ihr?«
»Woher kennen Sie sie?«
»Eine Gegenfrage. Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass ich sie kennen könnte?«
»Sie stehen in ihrem Telefonverzeichnis. Ihre Initialen und Ihre Telefonnummer. Und zwar Ihre Handynummer.«
Richter lächelte versonnen, zündete sich ebenfalls eine Zigarette an, inhalierte und behielt den Rauch lange in den Lungen, bevor er ihn durch die Nase wieder ausstieß. Plötzlich wurde sein Blick ernst, er beugte sich nach vorn.
»Moment mal«, sagte er mit zu Schlitzen verengten Augen, »sie wird Ihnen ihr Telefonbuch doch sicher nicht freiwillig gezeigt haben, oder? Da steckt doch mehr dahinter. Außerdem, warum stehe ich in ihrem Telefonbuch?«
»Keine Ahnung. Sie hat es uns auch nicht freiwillig gegeben, wir haben es uns aus ihrem Computer geholt. Judith Kassner ist nämlich tot.«
»Was?«, stieß er hervor. »Was ist passiert?«
»Sie wurde umgebracht. Und jetzt sagen Sie uns bitte, woher und wie gut Sie Frau Kassner kannten?«
Er machte ein hilfloses Gesicht. Dieser Tag überstieg seine Kräfte. »Ich weiß nicht mehr genau, aber ich habe sie vor etwa anderthalb oder zwei Jahren auf einem Fest bei einem Freund kennen gelernt. Wir haben uns nur kurz unterhalten, sie hat mir
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