Der Jäger
weshalb bei gewissen Menschen bestimmte Handlungsweisen in Gang gesetzt werden, inwieweit die Herkunft und die Erziehung eine Rolle spielen,und so weiter. Wenn Sie meine Romane kennen, dann wissen Sie, dass diese Fragen mich immer beschäftigen.«
»Gut, Herr Kleiber, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, und wie gesagt, wir melden uns, sobald es neue Entwicklungen gibt.«
»Gute Nacht. Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht belästigt.«
»Ganz und gar nicht. Eine Frage noch zum Schluss – wie viele Gäste sind normalerweise auf den von Ihnen erwähnten Empfängen anwesend?«
»Das kommt ganz drauf an. Aber in der Regel so zwischen hundert und zweihundert. Man kann gar nicht alle kennen, die dorthin kommen.«
»Ich denke, das war’s, Herr Kleiber. Tschüss und bleiben Sie kreativ.«
»Im Augenblick ist das gar nicht so einfach. Ich glaube, ich werde erst einmal etwas Abstand von der ganzen Sache gewinnen müssen. Vielleicht fahre ich mit meiner Frau auch einfach für ein paar Tage fort. Ich werde drüber wegkommen. So, und jetzt will ich Sie wirklich nicht länger voll quatschen. Gute Nacht.«
Julia Durant drückte den Aus-Knopf, hielt den Hörer aber noch eine Weile in der Hand. Der ist ganz schön durch den Wind, dachte sie grinsend. Sie legte den Hörer auf, zog sich aus, nahm die Tagebücher von Juliane Albertz und eine weitere Dose Bier und ging ins Bad. Sie trank ein paar Schlucke, las einige belanglose Eintragungen, bis ihre Augen immer schwerer wurden, dann klappte sie das Buch zu, stieg aus der Wanne und ließ das Wasser ablaufen. Um kurz nach halb zwölf legte sie sich ins Bett, drehte sich auf die Seite und schlief sofort ein.
Dienstag, 19.00 Uhr
Alfred Richter stellte seinen Jaguar im Hof neben dem BMW 325 ab. Er betrat das Haus durch die offene Haustür und ging vier Stufen bis zu ihrer Wohnung im Erdgeschoss. Er klingelte, hörte Schritte näher kommen, die Tür wurde aufgemacht. Claudia van Dyck stand vor ihm, lächelte, machte die Tür frei.
»Schön, dass du da bist«, sagte sie und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Sie trug ein kurzes, samtblaues Kleid mit einem tiefen Dekolleté, das ihre vollen, schweren Brüste kaum verhüllte. Sie war eine zierliche, normalerweise eher unauffällige Frau, doch mit dem richtigen Make-up und der passenden Kleidung wurde sie zu einem männermordenden Vamp. Richter betrachtete sie im gedämpften Licht des Zimmers einen Moment stumm. Er fühlte sich nach dem Morgen mit Maria van Dyck unbehaglich, hatte es aber nicht fertig gebracht, die Verabredung mit Marias Mutter abzusagen. Sie hätte ihn nach einem Grund gefragt, und er hätte lügen müssen. Doch Claudia van Dyck durchschaute Lügen sofort. Er hatte es zweimal versucht, und zweimal hatte sie ihm die Lügen auf den Kopf zugesagt. Dennoch hatte er sich vorgenommen, das Verhältnis zu beenden. Er wusste nur noch nicht, wie. Sie stand in lasziver Haltung an die Wand gelehnt vor ihm, ein herausforderndes Lächeln umspielte ihre braun glänzenden Lippen, was perfekt zu ihrem hellen Teint passte.
»Und, bist du bereit für einen schönen Abend?«, fragte sie mit gurrender Stimme, kam auf ihn zu und legte ihre Arme um seinen Hals. Sie küsste ihn leidenschaftlich, rieb mit dem Oberschenkel zwischen seinen Beinen. Gestern noch hätte es ihn verrückt gemacht, jetzt wand er sich aus ihrer Umarmung. Sie sah ihn fragend an.
»Weiß nicht«, erwiderte er, ging an die Bar und schenkte sich einen Cognac ein. »Ich habe einen sehr anstrengenden Tag hinter mir und bin eigentlich hundemüde.«
»Das kann ich sehr schnell ändern«, sagte sie und trat hinter ihn, lehnte ihren Kopf an seinen Rücken, streichelte mit den Händen über seine Brust, seinen Bauch. »Wir haben uns seit zwei Wochen nicht gesehen, und ich habe seitdem keinen Schwanz mehr zwischen meinen Beinen gehabt. Du willst mir doch die Freude nicht verderben, oder? Und länger als zwei Stunden würde ich dich auch nicht in Beschlag nehmen, ich habe nämlich noch etwas vor.«
Richter trank den Cognac, stellte das Glas auf den Tisch, drehte sich um und fasste sie bei den Schultern. Er versuchte zu lächeln, sah sie an und stellte sich in diesem Moment vor, wie diese Frau, dieses jetzt so verführerische Wesen mit den grünen Augen, die sie mit dunklem Lidstrich noch betonte, versucht haben könnte, ihre Tochter zu töten. Er empfand weder Abscheu noch Mitleid, es war eher Trauer, hier mit einer Frau zusammen zu sein, die offensichtlich zu allem
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