Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
wenigstens, warum Ihr es mir verschwiegen habt?«
»Es ist Männersache.«
Aude lachte ungläubig. »Wann immer eine Dummheit begangen wird, heißt es: Das ist Männersache«, sagte sie mit ätzendem Spott. »Es war nicht recht von Euch zu schweigen. Auch wenn Eure Gründe wahrscheinlich edler waren, als Ihr wollt zugeben.«
Philipp blickte peinlich berührt auf. Betroffen erkannte er, daß das Aufflammen ihrer Wut nur dazu gedient hatte, ihre Trauer zu bemänteln. Ihre Augen waren feucht.
»Ihr seid ein guter Mensch, Philipp; selbst wenn man Euch verletzt«, sagte sie. »Ihr wolltet schützen die Ehre von Geoffroi, weil man die Fehler eines Mannes nicht vor den Ohren seiner Frau beklagt. Ihr wolltet mich schützen, weil das Ansehen einer Frau vom Betragen Ihres Gemahls abhängt und weil ihr dachtet: Sie hat unter diesem Unhold schon genug zu leiden.«
Philipp wollte protestieren, aber ihre Einsicht in seine Motive war zu scharf. Er bewegte seine Schultern und wünschte, er hätte dieses Gespräch nicht gesucht.
»Geoffroi ist nicht so, wie Ihr denkt«, sagte sie nach einer Weile. »Ich glaube, daß Euer Eindruck von ihm weit falscher ist als meiner. Was immer er getan hat, während Ihr ihn in Eurer Kammer zurückgelassen habt, muß auf einem Mißverständnis beruhen.«
Was kann man an einer zerwühlten Kammer groß mißverstehen , wollte Philipp sagen. Aber Audes offensichtliches Bemühen, an die Güte in ihrem Mann zu glauben, rührte ihn. Er erwiderte nur: »Ich weiß nicht.«
»Philipp, wenn Ihr noch etwas wißt, bitte sagt es mir«, drängte sie ihn. »Ich bin bis hier heraus geritten, weil ich hoffte, eine Spur von ihm zu finden. Es war vergebens. Er ist niemals hiergewesen. Ihr seid derjenige, der Geoffroi zuletzt gesehen hat. Ich werde noch verrückt vor Sorge,besonders wenn ich höre, was er getan haben soll. Bitte sagt mir alles, was Ihr wißt.« Sie blinzelte eine Träne zurück, aber die Träne war zu groß und lief statt dessen ihre Wange hinunter. Mit einer beinahe wütenden Handbewegung wischte sie sie weg.
»Ihr liebt ihn sehr«, hörte Philipp sich sagen und fühlte einen schmerzlichen Stich wegen Dionisia dabei. Ein leises Grollen war zu hören, und Aude blickte statt einer Antwort in den Himmel. Philipp tat es ihr gleich. Die Wand im Westen hatte sich weiter verdichtet und eine stumpfe Farbe angenommen, aber es war noch nicht Zeit für das Gewitter. Über der Straße hing eine Staubfahne. Das Grollen wurde lauter und entpuppte sich als das Geräusch von mehreren Pferden, die in schnellem Trab vorwärtsgetrieben wurden. Hinter ihnen, auf dem Kranz der Mauer, die das Kloster umgab, rief jemand mit heller Stimme in den Westhof hinab: »Es sind der Prior, der Sakristan und der Kämmerer. Macht das Tor auf.«
Philipp verengte die Augen und trat gleichzeitig mit Aude beiseite. Das Tor bewegte sich ächzend und schwang beide Flügel auf. In der Staubfahne waren jetzt die Gestalten von mehreren Reitern erkennbar, die ein reiterloses Pferd mit sich führten. Etwas Großes, Schlaffes hing über dem Rücken des Pferdes und bewegte sich matt zum Rhythmus des Trabs. »Wer ist das?« fragte Aude.
»Wie ihr gehört habt: Prior, Sakristan und Kämmerer. Ich kenne den Kämmerer; sein Name ist Johannes. Wir waren beide Novizen im Kloster, aber er ist geblieben, während ich das Kloster verlassen habe. Er hat mich ins Archiv gebracht.«
»Ihr sucht noch immer nach Unterlagen über diesen Radon, stimmt es?«
»Radolf. Aber ich habe nichts Vernünftiges gefunden.«
»Und was nun?«
»Ich werde morgen zu Radolf reiten und ihm mitteilen, daß ich nicht mehr weiter weiß. Voraussichtlich wird er sich auf mich stürzen.«
»Eine beunruhigende Vorstellung.«
»Nicht allzusehr. Ich habe statt seiner Unterlagen etwas gefunden, das ihn in einem ziemlich schlechten Licht zeigt. Er hat scheinbar den früheren Archivar erpreßt. Ich möchte deshalb nachher nochmals mit Johannes sprechen und ihn darüber informieren. Ich brauche ihn als Verbündeten.«
»Wird er zu Euch halten?«
»Er hat eine mächtige Wut auf den jetzigen Archivar und konnte als Novize auch den alten Archivar nicht leiden. Was immer mit dem Archiv zusammenhängt, verursacht ihm Magenschmerzen. Und da Radolf auch mit seinen Pfoten im Archiv herumgemischt hat, wird ihn sein Ärger sicher auf meine Seite bringen.«
»Es ist nicht schön, auf den fortdauernden Ärger eines Menschen zu hoffen.«
»Da habt Ihr recht«, sagte Philipp, der keinerlei
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