Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Lust verspürte, sich schon wieder auf einen der vielen Kriegsschauplätze zu begeben, die ihre Bekanntschaft begleiteten. Aude war scheinbar überrascht, daß er ihr nicht widersprach.
Die Reiter hatten das Tor jetzt erreicht und hielten an. Ein paar Mönche liefen nach draußen. Das Geläut der Torglocke setzte plötzlich ein, als wollte es die Ankömmlinge und ihre tote Fracht willkommen heißen. Philipp erkannte die lange Gestalt von Bruder Johannes, der mit steifen Beinen von seinem Pferd sprang und sich den Staub aus derKutte klopfte. Er hatte Philipp noch keinen Blick zugeworfen. Statt dessen schüttelte er seine Gliedmaßen aus und trat dann auf das Pferd zu, das den Leichnam trug.
Es war Kaplan Thomas.
»Erschlagen«, sagte Johannes, »mit einem Knüppel ins Genick. Wie man einen Hund erschlägt; oder ein angestochenes Schwein.«
Philipp hörte ihm mit halbem Ohr zu. Seine Blicke ruhten auf dem Leichnam, den man auf einem Lager in einer Ecke des Hospizes aufgebahrt hatte. Thomas blickte mit leeren Augen nach oben, eines weiter geöffnet als das andere. In einem Nasenwinkel stand ein getrockneter, brauner Bluthalbmond. Sein Körper lag nackt den Blicken der Mönche ausgesetzt auf der Bettstatt, die Kutte zusammengeknüllt über seiner Scham, aber sein Oberkörper und seine langen Beine waren so unbekleidet, wie der Bruder Apotheker sie gelassen hatte, nachdem er den Leichnam untersucht hatte. Philipp erinnerte sich der Schamhaftigkeit des Kaplans und wünschte sich, jemand möge vortreten und seinem toten Körper die Würde der Kleidung zurückgeben.
Aude war vermutlich wieder in den Frauentrakt der Herberge zurückgekehrt. Er wollte, sie wäre mit ihm ins Hospiz gekommen. Thomas’ wächsernes Gesicht starrte unbewegt an die Decke, während der Bruder Apotheker mit unverständlichen Worten seine aufgeschlagenen Knie und seine aufgeschürften Handflächen beschrieb und wie der oder die Mörder den Kaplan seiner Ansicht nach mit dem ersten Knüppelschlag auf die Knie gezwungen und mit dem zweiten sein Genick gebrochen hatten. Philipp wünschte, Thomas würde blinzeln und sich erheben und die ganze Angelegenheit als schlechten Scherz abtun. DerApotheker beendete seine Erklärung und drückte Thomas die Augen zu. Philipp schluckte und spürte einen heißen Schmerz, der in seine Eingeweide und hinter seine Augen schoß. Thomas war tot.
Johannes berührte Philipps Arm, und Philipp erkannte, daß die anderen Männer sich bereits abgewandt hatten und den Raum verließen. Er folgte dem Kämmerer. Auf halber Strecke wandte er sich nochmals um. Der Bruder Apotheker faltete Thomas’ Kutte auseinander und bedeckte seinen Körper damit.
»Er ist vorgestern in das Kloster gekommen, wie du sagtest«, erklärte Johannes. »Er bat darum, vor dem Abt und den wichtigsten Amtsinhabern gehört zu werden. Ich habe die Geschichte nachgeprüft.«
»Ich weiß, was er vorhatte«, sagte Philipp heiser. »Ein Dorfpriester hatte eine seiner Meinung nach ungerechte Verurteilung ausgesprochen, und er wollte verhindern, daß so etwas noch einmal vorkommt.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob die Verurteilung wirklich ungerecht war.«
»Was weißt du wohl davon?«
»Der Prior war bei dem Gespräch zugegen und hat es mir geschildert. Sagen wir es so: Die Fakten hatten eine größere Überzeugungskraft als seine Worte. Die Frau, die dem Gottesurteil ausgesetzt wurde, ist gestorben: an Staub und Straßendreck erstickt.«
Philipp verzog das Gesicht. »Hat sie selbst ... ?«
»Nein, das wäre nicht möglich gewesen. Alles sieht danach aus, als habe der Herr das Urteil selbst vollstreckt, und zwar gemäß der Schrift, daß die Worte von Ketzern nichts seien als Staub im Mund.« Johannes bekreuzigte sich und murmelte: »Quia peccavi nimis cogitatione, verbo et opere.«
Philipp fühlte einen kalten Schauer, der selbst durch die Masse aus Taubheit drang, die ihn seit dem Anblick des toten Kaplans auszufüllen schien. Der Schauer entpuppte sich bei näherem Hinsehen als Wut.
»Denn ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Taten?« wiederholte er. »Schuldig, nur weil sie tot ist? Wahrscheinlich bist du auch noch der Meinung, Gott der Herr hat ihr selbst den Dreck in den Hals geschaufelt.«
»Wenn ich es auch mit weniger groben Worten ausdrücken würde – ja. In jedem Gottesurteil hat der Herr die Hand im Spiel, wie direkt oder indirekt auch immer.«
»Aber in so einem Fall! Jeder, der durch das Dorf kam, konnte mit der Frau
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