Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
anstellen, was er wollte. Sie war an einen Pfahl gefesselt, und über den Tag war das Dorf vermutlich menschenleer.«
»Richtig. Aber wer hätte sich die Mühe gemacht, sie festzuhalten und ihr Straßendreck in den Mund zu schütten? Ich glaube, daß sie als Ketzerin verurteilt und einem Gottesgericht ausgesetzt wurde und daß sie so gestorben ist, wie sie es ihrem Urteil nach verdiente.«
Sie traten hinaus ins Freie. Johannes zog die Kapuze über seinen Kopf und steckte die Hände in die Ärmel der Kutte. Philipp spürte die Wut rasch in sich wachsen. Er wußte, daß es nur eine Reaktion auf den Schock war, den der Anblick des Toten ausgelöst hatte, aber er konnte sich nicht dagegen wehren.
»Was ist mit Thomas?« zischte er. »Hat er deiner Meinung nach auch verdient, was ihm zugestoßen ist, weil er das Urteil gegen eine Ketzerin angezweifelt hat? Hat ein Engel einen Stein aus dem Himmelsgewölbe gebrochen und ihm in den Nacken geworfen?«
Johannes wandte ihm sein beschattetes Gesicht zu undbetrachtete ihn einen Moment lang ausdruckslos. »Du redest lästerliche Worte«, sagte er ruhig. »Vermutlich wurde er von einer Bande Straßenräuber erschlagen.«
»Straßenräuber, natürlich«, höhnte Philipp. »Die sich reiche Beute von einem Mann versprechen, der zu Fuß unterwegs ist und den seine Kleidung deutlich als Geistlichen ausweist.«
»Du hast die Wunde in seinem Nacken gesehen. Sie wurde nicht von einem fallenden Ast verursacht, ganz abgesehen davon, daß kein Baum in der Nähe war, wo er gefanden wurde. Sie stammt von einem Streitkolben. Ein einzelner Wegelagerer würde keine derartige Waffe besitzen: Er hätte sie schon längst zu Geld gemacht, um Essen zu kaufen, und sich auf eine Steinschleuder verlassen. Richtige Waffen besitzen nur organisierte Banden von Gesetzlosen.«
»Ich frage dich nochmals: Was hätten Straßenräuber bei Thomas finden wollen?«
»Philipp«, seufzte Johannes, »was hätte irgend jemand bei Thomas finden wollen, das einen Mord rechtfertigte? Wir wissen nicht, wer ihn umgebracht hat.«
»Vielleicht hat es mit seinem Einsatz für die Verurteilte zu tun?«
»Und wer hätte ein Interesse daran, ihn dafür zu bestrafen, wenn nicht der Herr selbst?«
»Ich weiß, daß er den Fall vor den Bischof bringen wollte, wenn es nötig wäre. So wie ich ihn kenne, hat er damit auch vor dem Abt und dem Prior nicht hinter dem Berg gehalten.«
»Willst du damit sagen, daß jemand hier aus dem Kloster ihn beseitigen wollte, weil ihm seine Einmischung unwillkommen war und er eine Anzeige beim Bischof fürchtete?« Johannes sah ihn fassungslos an, und auf seiner Stirn erschienen ärgerliche Falten. Philipp achtete nicht darauf. »Entweder das«, erklärte er ungehalten, »oder der Dorfpriester hat ihn auf dem Gewissen.«
»Philipp, du weißt nicht, was du redest.«
»Aber ich weiß, was ich denke. Wenn Thomas zum Bischof gegangen wäre und ihn von seiner Ansicht überzeugt hätte, hätte der Dorfpriester zumindest eine unangenehme Zeit gehabt. Und ihr hättet euch fragen lassen müssen, ob aus euren Reihen noch mehr Fanatikern und Hitzköpfen die Aufsicht über die Seelen eines armen Dorfes gegeben wurde. Unter Umständen hätte sich sogar noch eine Untersuchung der weltlichen Behörden wegen Anmaßung der Rechtsgewalt ergeben.«
»Und weil wir uns davor fürchteten, erschlugen wir den Kaplan deines Herrn?« rief Johannes aufgebracht.
»Ihr oder der Dorfpriester! Warum holt ihr ihn nicht ins Kloster und befragt ihn dazu?«
»Wir wissen selbst, was wir zu tun haben«, versetzte Johannes wütend.
»Ganz offensichtlich.« »Was willst du damit sagen?«
»Nichts, was du dir nicht denken kannst«, stieß Philipp hervor und wandte sich brüsk ab. Johannes sprang ihm nach und hielt ihn fest.
»Wir haben nichts zu verbergen«, sagte er, aber der unterdrückte Zorn war trotz seiner beherrschten Worte deutlich zu hören. Philipp, in seine eigene Wut gehüllt, wollte es nicht bemerken. Er riß sich los.
»Jetzt nicht mehr«, sagte er heiser und stapfte davon.
»Du bist verrückt!« rief ihm Johannes hinterher. »Du verurteilst, bevor du nachdenkst, und du steigerst dich inetwas hinein, das völlig ohne Hand und Fuß ist. Genau wie damals, als du dir in den Kopf gesetzt hast, das Kloster verlassen zu müssen. Was hat es dir gebracht? Schon bei der ersten schwierigen Aufgabe bist du wieder hier und verlangst nach unserer Hilfe! Ich gebe sie dir gegen alle Regeln und Verordnungen des Ordens,
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