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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Ist sie stumm?«
    Schiefnase zuckte erneut mit den Schultern. »Sie redet nicht, aber sie ißt«, erklärte er. Philipp nickte und kramte in seiner Tasche; sein Herr hatte ihm ein paar Pfennige mitgegeben, um sie der Familie zu geben, die das Kind aufgenommen hatte. Schiefnase bekam ein begehrliches Gesicht, und die Umstehenden rückten einen zögerlichen Schritt nach vorn, als wollten sie Zeugen der Geldübergabe werden. Philipp holte eine kleine Münze hervor und hielt sie Schiefnase vor das Gesicht.
    »Ißt sie mehr, als dies hier wert ist?«
    Schiefnase überlegte; seinem markanten Gesicht waren deutlich die Gedanken abzulesen: Sage ich nein, wird er mir die Münze nicht geben oder eine geringere suchen; sage ich ja, wird er mich fragen, wie ich zu soviel Nahrungsvorräten gekommen bin, daß ein Kind den Wert dieser Münze verzehren kann. Hin und her gerissen, preßte er die Lippen zusammen und schwieg. Philipp, den das natürliche Mißtrauen der Bauern zugleich abstieß und mit Verständnis erfüllte, betrachtete das innere Ringen Schiefnases. Sie erwarten nichts anderes, als daß man sie übervorteilt und betrügt , dachte er. Die Erfahrung hat sie das gelehrt, und ein guter Herr löscht nicht die Erinnerung an zehn seiner schlechten Vorgänger aus. Er packte die Hand des Bauern und drückte ihm die Münze hinein. Schiefnase betrachtete den Reichtum in seiner schwieligen Handfläche und schloß dann mit ängstlicher Schnelligkeit die Faust.
    »Kann ich das Mädchen sehen?« fragte Philipp.
    »Sie ist in meinem Haus.«
    »Gehen wir.« Philipp wandte sich um und rief den anderen Pächtern zu: »Ich möchte, daß ihr den Männern hieralles erzählt, was ihr von dem Überfall wißt. Je mehr wir wissen, desto eher können wir die Gesetzlosen in den Hintern treten.« Er grinste bemüht. »Bevor sie noch eure Hintern zum Hineintreten entdecken.«
    Das Mädchen saß auf dem Boden neben dem niedrigen Eingang zu Schiefhases Pächterhütte und flocht einen Korb. Sie hielt mit der Arbeit nicht inne, als Philipp und Schiefnase vor ihr stehenblieben und ihre Schatten auf sie fielen, und sie sah auch nicht auf, nur ihre Hände arbeiteten plötzlich fieberhafter als zuvor. Ihre Haare fielen in ihr Gesicht, so daß man ihre Gesichtszüge nicht erkennen konnte. Ihre Finger waren stark und schrundig wie die einer erwachsenen Frau.
    »He, Mädchen«, sagte Schiefnase.
    »Hat sie keinen Namen?« fragte Philipp erstaunt.
    »Natürlich hat sie einen Namen. Ich kenne ihn aber nicht.«
    »So weit wohnte Lambert doch nicht von eurem Dorf entfernt, daß ihr die Namen nicht kennt. Außerdem stammte seine Frau aus eurem Dorf.«
    Schiefnase betrachtete ihn einen Augenblick, als bemühe er sich, dem Gedankenschluß Philipps zu folgen. Schließlich zuckte er zum wiederholten Mal mit den Schultern. »Einauges ... ich meine: Lamberts Weib hatte drei Schwestern; zwei davon waren Zwillinge. Die hier ist einer der Zwillinge. Keiner weiß, welcher.« Bevor Philipp dazu etwas sagen konnte, bückte sich Schiefauge und stieß das Mädchen mit dem Handrücken an die Schulter. Die Berührung war weniger grob, als Philipp erwartet hatte.
    »He, Mädchen, der Truchseß unseres Herrn will mit dir reden«, sagte er. Das Mädchen blickte nun doch auf und sah Philipp ins Gesicht, und dieser zuckte zurück. Unter dem Schmutz und der Staubschicht erkannte er ein Kindvon zehn oder elf Jahren. Aber nicht die Diskrepanz zwischen den abgearbeiteten Händen und dem jungen Antlitz war es, die ihn zurückschrecken ließ. Das Entsetzen, das in ihren weitaufgerissenen Augen schimmerte, versetzte ihm einen körperlichen Schlag. Sie hat gesehen, wie man ihre ganze Familie ausgelöscht hat, und alles, was man zu ihr sagt, ist: He, Mädchen, jemand will mit dir reden. Ihre Augen ermaßen seine Gestalt, als würde von ihm Gefahr ausgehen. Ihre Hände arbeiteten blind weiter und flochten unablässig an ihrer Arbeit.
    Philipp hockte sich vor ihr in den Sand und sah sie an. Er hob die Hand, um sie auf ihre rastlosen Finger zu legen und die sinnlose Tätigkeit zu unterbrechen, doch sie begann zu zittern, kaum daß er die Hand nach ihr ausstreckte, und so ließ er sie wieder fallen.
    »Es wird wieder alles gut«, sagte er sanft das Erstbeste, das ihm in den Sinn kam. Sie reagierte nicht darauf. Philipp sah hilflos zu Schiefnase auf.
    »War sie schon immer stumm?«
    »Weiß nicht. Ich glaube nicht.«
    »Wie heißt du, Mädchen? Kannst du mir etwas über die Männer erzählen, die

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