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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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weiter. Philipp seufzte und schlang die Arme um den Körper, während er darauf wartete, daß Radolf erschöpft aufgab. Sein Blick irrte zum Haus hinüber und an den Fensteröffnungen empor. Er fragte sich, ob Dionisia ihre Kammer bereits verlassen hatte und sie jetzt beobachtete. Die Fensteröffnungen waren dunkel und undurchdringlich.
    Radolf schaffte es, ein knietiefes Loch von ungefähr der Länge von Ernsts Körper zu graben, bevor er zu taumeln begann – eine Leistung, die in Philipp gelinde Fassungslosigkeit hervorrief. In der frischen Luft und der Kälte des herabprasselnden Regens hatte sich seine eigene Bedrückung nach und nach gelegt, und er war dazu übergegangen, Radolfs manische Besessenheit zu beobachten, mit der er, rücksichtslos seiner Erschöpfung gegenüber, Ernsts Grab schaufelte. Schließlich aber unterbrach er sich, taumelte ein paar Schritte in der Grube hin und her und stützte sich endlich schwer auf den Spatenstiel. Seine Schultern waren gebeugt, und sein Atem rasselte. Plötzlich würgte er trocken. Die Beine gaben nach, und er setzte sich hart auf den Rand der Grube nieder. Seine Augen waren stumpf.
    Philipp bewegte seine erstarrten Beine und sprang in die Grube hinein.
    »Laßt mich weitermachen«, sagte er beinahe sanft. »Ihr müßt Euch ausruhen.«
    Radolf streckte wie ein Betäubter den Arm aus und reichte ihm den Spatenstiel. Er war schlüpfrig von Schweiß und dem Blut aus Radolfs aufgerissenen Handflächen. Philipp wischte ihn ab und machte sich daran, das Grab zu vertiefen.
    Die feuchte Erde war zäh und umfing ihn mit dem herben Duft frisch aufgebrochenen Bodens, und es dauerte eine Weile, bis Philipp seinen Rhythmus fand. Schon nach kurzer Zeit schmerzten seine Arme. Sein Atem beschleunigte sich. Wenn ein Vorteil daran zu finden war, daß er Radolf abgelöst hatte, dann nur der, daß er schon bald zu frösteln aufhörte. Er warf Radolf einen Blick zu: Dieser saß, wie er sich hatte niederfallen lassen, auf dem Boden – er hatte nur darauf geachtet, daß er Ernsts Leichnam nicht im Rücken hatte. Radolf ließ den Kopf hängen und starrte auf die Erde zwischen seinen Füßen. Der Regen lief ihm aus den Haaren über das Gesicht, sammelte sich an seiner Nasenspitze und an seinem Kinn und tropfte daran herab. Er begann in immer kürzeren Abständen zu erschauern, ohne seine Stellung zu ändern. Seine Hände baumelten zwischen seinen Knien herab, fleckig und mit blau verfärbten Knöcheln. Schließlich schüttelte es ihn so heftig, daß er unfreiwillig keuchte. Philipp stieß den Spaten in den Boden und kauerte sich vor Radolf nieder, um ihm ins Gesicht zu sehen; er erschrak, als er die Blässe der Wangen sah und wie farblos seine Lippen waren.
    »Ihr müßt hineingehen«, sagte er. Radolf bewegte sich nicht; nur seine Augen rollten in seinen Höhlen nach obenund schenkten Philipp einen ausdruckslosen Blick. »Ihr werdet Euch das Fieber holen. Ich begrabe Ernst alleine; das Grab ist fast fertig.«
    Radolf nickte kaum merkbar. Inmitten eines weiteren Fieberschauers raffte er sich taumelnd auf und stolperte zum Eingang des Hauses davon, dabei einen weiten Bogen um Ernsts Leiche schlagend.
    Als Philipp endlich selbst den Saal wieder betrat, erschien er ihm beinahe warm. Dionisia saß auf einer Truhe, eine Decke fest um die Schultern gezogen und mit bleichem Gesicht auf den Haufen starrend, der Ernsts Besitz gewesen war. Philipp seufzte und wischte sich die Hände an seiner Hose ab, bevor er sich Dionisia näherte.
    »Wo ist Radolf?« fragte er. Dionisia nickte mit dem Kopf zu seiner Kammer, ohne die Augen von Ernsts Sachen zu nehmen.
    »Was wollt Ihr mit seinen Besitztümern anfangen? Habt Ihr sie schon durchgesehen?«
    Sie schüttelte den Kopf und antwortete endlich tonlos: »Seht Ihr sie durch.«
    »Seid Ihr sicher, daß Ihr das wollt?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Philipp kniete sich neben den Sachen auf den Boden und sortierte sie vorsichtig auseinander. Er war sich des Blicks von Dionisia bewußt, der durch seinen Körper hindurchging und auf den Dingen lag, die er auf den Holzdielen ausbreitete: die beiden Schwerter, die kurze Lanze, der lange Dolch mit der schlanken Klinge und eine kurze, breite Ochsenzunge, ein Streitkolben, dessen Stahlzähne den Schnäbeln von sechs in alle Richtungen starrendenRaubvögeln nachgebildet war, sowie eine schwere Reiteraxt; Ernsts bunter Schild, das Bärenfell und schließlich, unter Decken, Gurtzeug, Lederriemen, Handschuhen und einem

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