Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Resignation und Verzweiflung. Hätte man die Zelle geräumt, wäre jener Geruch trotz allem nicht gewichen; er hatte sich bereits in jeden Stein, jeden Strohhalm und jeden Quadratmeter des festgestampften Bodens geätzt.
    Philipp erwartete denselben Geruch, der schlagartig in seiner Erinnerung aufstieg, als er über die Schwelle des Verlieses taumelte, aber abgesehen von dem muffigfeuchten Gestank eines kalten unterirdischen Raumes nahm er nichts wahr. Er atmete flach und versuchte durch die Dunkelheit zu sehen. Ein Fensterschlitz, hoch oben direkt unterhalb der Gewölbedecke angebracht, ließ mehr schlecht als recht diffuses Licht in den Raum sickern. Es reichte dazu, die Konturen der Mauern hervorzuheben, den Raum zu begrenzen und ihn den Weg zu einem in der Ecke unter der Öffnung abgestellten, verschlossenen Kübel finden zu lassen, ohne auf das Deckenbündel zu treten, das an der einen Wand lag. Er begann zu frösteln und seufzte.
    Dann regte sich das Deckenbündel, und Philipp wußte, daß er nicht allein war.
    Im Loch schien es irgendwie nicht die richtige Haltung zu sein, einem Fremden gegenüber auf Distanz zu gehen. Philipp stolperte auf das Bündel, das sich als Mensch erwiesen hatte, zu und setzte sich daneben auf den Boden. Noch bevor er etwas sagen konnte, drang die feuchte Kältedurch seinen Hosenboden, und er sprang wieder auf und scharrte mit dem Fuß ein Bündel Stroh zusammen, um eine Unterlage zu finden. Das Stroh war erstaunlich frisch dafür, daß es den Boden eines Kerkerlochs bedeckte.
    »Ich bin Philipp«, stellte er sich vor.
    Aus dem Deckenbündel kam ein dumpfer Laut.
    »Kannst du nicht sprechen?« fragte Philipp. Allmählich war er so an die Dunkelheit angepaßt, daß er die Züge seines Leidensgenossen sehen konnte, soweit sie aus der Umhüllung hervorschauten: struppiges Haar, zusammengekniffene Augen und unrasierte Wangen. Jetzt schlug er die Decke nach unten und offenbarte eine schorfige, geschwollene, entstellte Wunde dort, wo sein Mund hätte sein sollen. Unterhalb seiner Nase wirkte sein Gesicht verrenkt. Philipp starrte ihn an.
    »Du bist der Mann, den der Büttel auf dem Markt niederschlug. Während der Rede des Propheten«, sagte er schließlich. Der Verletzte nickte vorsichtig und stieß wieder sein Grummeln aus. E wies mit einer Hand auf seinen Kiefer und machte dann mit beiden Händen eine kurze, wringende Bewegung.
    »Dein Kiefer ist gebrochen«, seufzte Philipp. »Hast du Schmerzen?« Der andere Mann rollte mit den Augen. »Wie ist dein Name?«
    »Hulch«, stieß der Mann hervor. »Hulcha.«
    »Fulcher?«
    Der Mann nickte beinahe begeistert.
    »Also gut, Fulcher. Wo ist dein Freund, den sie mit dir zusammen verhaftet haben?«
    Fulcher zuckte mit den Schultern.
    »Dein anderer Freund ist tot, wußtest du das?« Fulcher zuckte wieder mit den Schultern, aber seine Augen wurden schmal. Er wandte sein entstelltes Gesicht verdrossen ab.
    »Weißt du, warum sie dich ausgerechnet hier eingesperrt haben, in der Herberge des Großhofrichters? Du bist doch einer seiner Knechte, habe ich recht?«
    Fulcher versuchte mit viel Gegrunze und Geächze und Händefuchteln etwas zu erklären, aber es war sinnlos. Philipp winkte nach einer Weile ab. Fulcher hieb sich mit einer Hand auf den Oberschenkel und drehte sich um. Er schüttelte den Kopf und ballte beide Fäuste. Philipp sah zu ihm hinüber, aber er ließ ihn in Ruhe. Er hatte den Eindruck, daß Fulcher weinte.
    Der Riegel an der Zugangsklappe scharrte nach einer Zeit, deren Länge Philipp nicht ermessen konnte. Ein Mann hielt eine Fackel herein. Fulcher richtete sich auf und blinzelte. Philipp kniff die Augen zusammen und suchte den Blick seines Leidensgenossen.
    Die untere Gesichtshälfte Fulchers wirkte im Fackellicht noch zerstörter; der Kiefer war gelb und blau verfärbt, wo die Haut unter dem Schorf und dem getrockneten Blut sichtbar war. Philipp verzog das Gesicht.
    »Philipp, der im ›Kaiserelefanten‹ verhaftet wurde!« bellte der Mann mit der Fackel.
    »Das bin ich«, sagte Philipp. »In meiner ganzen Schönheit.« Der Scherz ging ihm mühsamer von den Lippen als üblich. Der Mann mit der Fackel verzog keine Miene.
    »Mitkommen.«
    »Ich nehme an, das ist keine Einladung zu einer Mahlzeit?«
    »Komm schon«, knurrte der Mann ungeduldig. Philippkam auf die Beine. Er spürte, wie die Augen Fulchers auf ihm ruhten. Er suchte nach etwas, was er ihm sagen konnte, aber es fiel ihm nichts ein. Er nickte ihm zu und drückte sich an

Weitere Kostenlose Bücher