Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
dem Fackelträger vorbei hinaus auf den Gang. An seinen Füßen schienen Ketten befestigt zu sein. Philipps Verstand war klar, daß man ihn nicht zur Hinrichtung führte, aber er vermochte nicht, dies auch seinen Ängsten klarzumachen.
In Abständen befanden sich schmale Fensteröffnungen in der Mauer. Philipp warf rasche Blicke hinaus, während er an ihnen vorbeistieg. Es reichte zu nicht mehr als der Feststellung, als daß es draußen hell war. Es schien ihm ausgeschlossen, daß er bereits eine Nacht im Verlies verbracht hatte. Es mußte noch immer der gleiche Tag sein. Scheinbar waren weniger Stunden vergangen, als er gedacht hatte. Fulcher schien schon seit Tagen im Verlies zu liegen, ohne daß man sich seiner angenommen hätte. Um ihn bemühte man sich offenbar schneller. Es war die Frage, ob dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.
Der rasche Marsch endete, als der Bewaffnete vor ihm durch eine schmale Türöffnung in einen Saal schlüpfte und die Männer in Philipps Rücken ihn hinterherschoben. Er roch den Duft vieler Unschlittlichter und Öllampen, bevor er den hell erleuchteten Raum in Augenschein nehmen konnte. Der Saal hatte in etwa die Ausmaße des Saales im Haus seines Herrn, aber er war reicher mit Wandteppichen geschmückt und wies eine geradezu verschwenderische Fülle an Lichtern auf. Auf einem Podium verdichteten sich die Lampen zu einem unruhigen, tanzenden Gleißen um einen hochlehnigen Stuhl herum. In dem Stuhl saß ein schwarzgekleideter Mann, als wäre er sein eigener Schatten.
Die Bewaffneten führten Philipp vor das Podium und traten dann beiseite. Philipp sah zu dem Schatten im Stuhl hinauf. Der Schatten beugte sich nach vorne und offenbarte ein schmales, blasses Gesicht, in dem tiefdunkle Augen die Flammen widerspiegelten.
»Wißt Ihr, wer ich bin?« fragte der Schatten.
Philipp schüttelte den Kopf.
»Ich bin Peter von Vinea, Großhofrichter und Kanzler unseres allerchristlichsten Kaisers. Ich hoffe, Euch ist die Schwere Eures Verbrechens bewußt, wenn ich Euch eröffne, daß ich selbst mich damit befasse.«
»Eine schöne Zeitverschwendung«, hörte Philipp sich sagen, »da ich nichts getan habe.«
Der Kanzler lächelte und lehnte sich wieder zurück. Zu Philipps Erstaunen begann er damit, ihn schweigend zu mustern. Philipp, dessen Herz mit seinem hilflosen Trommelwirbel aufgehört hatte, sobald man ihn vor das Podium gestoßen hatte, fühlte eine fast schwebende Ruhe in sich. Die Absurdität seiner Situation hatte endlich etwas Greifbares bekommen, und wenn es sich nur in der Gestalt Peters von Vinea offenbarte. Er gab den Blick des Kanzlers zurück, bis seine Augen ihn brannten. Schließlich blinzelte Peter von Vinea und betrachtete danach scheinbar gelangweilt seine Fingerspitzen. Philipp nutzte den Augenblick und wandte die Augen ab, um sich im Saal umzusehen. Mit seiner neugewonnenen Ruhe stellte er fest, daß der Kanzler, die drei Bewaffneten und er sich allein darin befanden.
»Ihr leugnet also den Mord, den Ihr begangen habt?« fragte der Kanzler.
»Da ich keinen Mord begangen habe, kann ich auch keinen leugnen«, erklärte Philipp und setzte nach einer deutlichen Pause hinzu: »Exzellenz.«
»Da Ihr keinen Mord leugnet, wird man Euch für einen zur Rechenschaft ziehen«, erwiderte der Kanzler trocken und nach einer ebenso langen Pause: »Mein lieber Truchseß.«
»Ich versichere Euch, daß ich niemanden getötet habe. Es muß sich um ein Mißverständnis handeln.«
»Das würde ich an Eurer Stelle auch sagen«, bemerkte Peter von Vinea.
»Würdet Ihr mir vielleicht sagen, wessen Tod Ihr mir zur Last legt?«
Der Kanzler lächelte verächtlich. »Also gut, spielen wir«, seufzte er.
»Ihr seid des Mordes an Geoffroi Cantat, Freisasse aus dem Herzogtum Vermandois, angeklagt.«
»Was?« würgte Philipp hervor. »Minstrel ist tot?«
Peter von Vinea zuckte bei der Nennung des anderen Namens nicht mit der Wimper. Er starrte Philipp an und antwortete nicht.
»Ich wußte es nicht; ich dachte ...«, Philipp brach ab. Er schüttelte wie betäubt den Kopf. »Weiß Aude schon davon?« fragte er mit tauben Lippen.
»Gesteht Ihr den Mord?«
»Nein!« fuhr Philipp auf »Ich wüßte nicht, welchen Grund ich hätte, Minstrel zu ermorden.« Er stutzte, als er es sagte, aber es war die Wahrheit. Er war außer sich vor Zorn auf Minstrel gewesen, aber zu keinem Zeitpunkt hatte er ihn tot gewünscht. Er schüttelte nochmals den Kopf und versuchte, sich auf den Kanzler zu
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