Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
dem Mannloch quasi in ihre Arme taumelte, noch vollkommen benommen von der unerwarteten Wendung der Dinge. Sie achtete ihn hoch für die ungewöhnliche Sorge, die er um seinen Truchseß empfand, wenn sie sie auch nicht verstand. Vielleicht hatte er sich Vorwürfe gemacht, Philipp dem Kardinal empfohlen zu haben. Wenn Philipp nicht vom Hof aufgebrochen wäre, um zu Radolf zu gehen, wäre er niemals mit Geoffroi zusammengekommen. Aber sie verstand auch Philipps Wunsch, verstand ihn sogar noch besser als die Beweggründe seines Herrn. Und wenn sie ehrlich war, war ihr Verständnis keineswegs frei von eigener Vorteilsnahme.
»Laßt ihn gehen, Raimund«, sagte sie. »Er muß es tun. Und ich werde ihn begleiten.«
»Das kommt nicht in Frage«, sagten beide Männer wie aus einem Mund. Aude lächelte trotz ihrer Anspannung.
»Wenn jener Radolf die einzige Möglichkeit ist, meinen Gemahl zu finden, dann werde ich ihn aufsuchen, ganz egal, wer mich dabei begleitet. Aber ich würde es begrüßen, wenn Philipp mein Begleiter wäre. Ich verspreche Euch, daß er mir nicht entfliehen wird.«
»Wer redet denn davon, zum Teufel?« grollte Philipp. Raimund kratzte sich am Kopf und musterte sie mit gesenkten Augenbrauen.
»Ich werde auf jeden Fall gehen«, bekräftigte sie nochmals. »Mich könnt Ihr nicht daran hindern.« »Radolf ist völlig unzurechnungsfähig. Ihr könnt dort nicht allein hingehen.«
»Arbeitet Ihr jetzt zusammen, um mich umzustimmen?« rief Raimund aufgebracht.
»Es geht nicht nur um mich und Minstrel«, drängte Philipp. »Es geht auch um den Mord an Thomas und Lambert mit seiner Familie.«
»Was?«
»Lambert war Radolfs Knappe; nur erfuhr ich leider zu spät davon. Radolf und Ernst sprachen in meiner Gegenwart darüber, daß sie seiner habhaft werden müßten. Ich dachte mir, dahinter stecke nicht mehr als der Zorn des Herrn auf seinen entsprungenen Knappen. Aber Lambert hat etwas gewußt; etwas, das weit über seine Mittäterschaft an dem Mord hinausgeht und das er Thomas gebeichtet hat. Soviel wissen wir durch Renatas Aussage. Es war etwas von so großer Tragweite, daß Thomas sich dazu bewogen fühlte, den Rat des Abtes im Kloster einzuholen. Er ging damit nicht zum Bischof, wie es üblich gewesenwäre, sondern zum Abt, dem er vertraute. Ich traf ihn auf der Straße, und er erzählte mir, es ginge um die Unglückliche, die man an den Schandpfahl gebunden hatte. Es mag ihm sicher auch darum gegangen sein, aber der Hauptgrund war der Inhalt von Lamberts Beichte. Was immer er dem Abt mitteilte, es hat ans Licht gebracht, daß auch Thomas das Wissen Lamberts teilte. Deshalb hat man ihn beseitigt. Vielleicht hat jemand sein Gespräch mit dem Abt belauscht. Und in seinem Tod hat er ihnen die Spur zu Lamberts Versteck gewiesen.«
Raimund kniff die Augen zusammen. Aude war Philipps Rede mit halber Verständnislosigkeit gefolgt, aber es gelang ihr, die Enden zusammenzuknüpfen.
»Deshalb hat man auch Lamberts gesamte Familie ausgelöscht«, sagte sie überrascht. »Weil man befürchtete, auch sie wüßten Bescheid.«
»Worüber denn Bescheid, bei allen Heiligen?« rief Philipps Herr.
»Ich weiß es nicht«, rief Philipp zurück. »Aber ich schwöre Euch, ich werde es aus Radolf herausbekommen.«
»Er wird dich und Aude genauso beseitigen lassen, wenn das alles zutrifft, was du mir erzählt hast.«
»Er kann es nicht. Im Gegensatz zu Thomas und Lambert weiß ich, was auf mich zukommt. Außerdem hegt er gegen mich keinen Verdacht, oder er hätte mich längst schon beseitigt.«
»Ich kann dich trotzdem nicht gehen lassen.«
Aude stand auf und strich ihr Kleid glatt. »Es ist spät«, sagte sie, »und ich bin müde. Ihr müßt mich entschuldigen, wenn ich heute am Abendmahl nicht teilnehme. Ich möchte ein wenig für mich sein.«
»Das wird Euch schwerfallen bei dem Trubel, der hierherrscht«, sagte Raimund und verneigte sich leicht in ihre Richtung. »Ich wünsche Euch gute Ruhe.«
»Danke«, sagte sie und ging zur Treppe, die in die Frauenkammer hinaufführte. Sie spürte Philipps Blicke auf ihrem Rücken. »Und, Raimund«, sagte sie, ohne sich umzudrehen, »wenn Euch nur etwas an Eurem Truchseß liegt, dann laßt Ihr ihn morgen mit mir zum Haus des Radolf Vacillarius reiten. Seine Seele hängt davon ab.«
Schließlich brachen sie zu dritt auf: Aude, Philipp und Galbert, den zurückzulassen Philipps Überredungskünste nicht mehr vermocht hatten. Ursprünglich hatte Raimund darauf bestanden, ihnen
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