Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Bütteln einen Wink. »Ich gebe Euch bis morgen früh Zeit, Eure Aussage zu überprüfen. Um Euer Nachdenken ein wenig anzutreiben: Solltet Ihr dann nicht geständig sein, werde ich den Henkersknecht kommen lassen und nachsehen, ob sich Eure Zunge mit seinen Werkzeugen lösen läßt. Ihr habt die Wahl. Entweder Ihr sagt mir morgen, was ich hören will, oder Ihr werdet es wenig später schreien.«
Zurück im Kellergeschoß des Gebäudes, zurück im Angstloch, aber nicht mehr zurück bei seinem unfreiwilligen Gefährten Fulcher, sondern nun allein in einem anderen, kleineren Raum; zurück und mit sich selbst alleingelassen, dauerte es eine Weile, bis Philipp sich der schieren Unausweichlichkeit seines Schicksals bewußt wurde. Vorher kreisten seine Gedanken um die Worte des Kanzlers, und er versuchte sie in das Schema zu passen, das er sich in denvergangenen Tagen aus den Geschehnissen gebildet hatte. Minstrel hatte nicht gelogen. Er hatte sich hier in der Stadt mit einem Mann treffen wollen, von dem er Geld erwartete. Sicherlich hätte er seine Informationen nicht umsonst an den Kanzler weitergegeben; wenn er überhaupt über welche verfügt hatte, woran Philipp nach wie vor nicht glaubte. Der Kanzler war nur der dritte im Bunde derjenigen, die Minstrel auf den Leim gekrochen waren – zusammen mit Aude und Philipp. Minstrel, dessen war Philipp ebenfalls sicher, hatte sich irgendwo verkrochen, um den Aufruhr um seine Person abzuwarten. Ganz offensichtlich beabsichtigte er nicht mehr, zu Aude zurückzukehren, sonst hätte er sich zumindest ihr zu erkennen gegeben.
An diesem Punkt angelangt, begannen Philipps Gedanken abzudriften und sich mit seinem eigenen Schicksal zu beschäftigen. Es war ihm bewußt, daß sein Hiersein mit all den Toten und Totgemeinten verknüpft war, von denen er in der letzten Zeit erfahren hatte – und immer wieder und in erster Linie mit Minstrel. Was sein Verschwinden und die Worte des Kanzlers bedeuteten, war ihm klar. Dieses Bewußtsein nahm nach und nach Gestalt in Philipps Denken an. Die Dämonen hatten genügend Zeit und Gelegenheit, sich an ihn heranzupirschen und ihm die Luft abzudrücken. Zu nichts anderem diente der Aufenthalt in der einsamen Zelle: den Kreaturen der Angst den Zugang zu ihrem Opfer zu gewähren. Ohne es zu wollen und ohne es abstellen zu können, malte Philipp sich das morgige Verhör aus, und während die Wände der Zelle näherzurücken schienen, sah er sich vor dem Kanzler stehen, den Mord an Minstrel erneut abstreiten und fühlte, wie man ihn packte und in einen Raum im Kellergeschoß zurückbrachte, dessen Wände Entsetzen und Schmerz ausschwitzten und in dessen Mitte die grinsende, vernarbte, bucklige Gestalt des Henkersknechts stand und seine Marterwerkzeuge wetzte. Es half nichts, daß er sich vorsagte, daß sowohl die Kirche wie auch der Kaiser die Folter zur Erzwingung eines Geständnisses verabscheuten und daß nicht einmal die päpstliche Inquisition bislang Zuflucht zu ihr genommen hatte; er wußte, daß es immer Ausnahmen gab, und die Ausnahmen wurden häufiger, je mächtiger der Ankläger war, der ein Geständnis hören wollte. Einen mächtigeren Ankläger als den Kanzler des Kaisers konnte man sich jedoch kaum vorstellen. Philipp sah seine Handgelenke mit Ketten gefesselt und in die Höhe gezogen, bis er aufrecht und mit ausgestreckten Armen in der Kammer des Henkersknechts stand; man zerrte das Wams von seinem Oberkörper, und die Geißel trat in Aktion, bis sein Rücken eine einzige schreiende Wunde war, die schon von der Berührung eines Lufthauchs in unerträglichen Schmerzen zuckte. Er sah sich voll heulender Panik der weißglühenden Spitze eines Eisens entgegenstarren, zurückgewichen, bis sich die Kette klirrend spannte, und die Spitze näherte sich der empfindlichen Haut unter seinen Armen und brannte, schmorte, ätzte sich stinkend in seine Haut, bis er kreischte und zu sterben wünschte. Man spannte ihn in den Rahmen und zerrte seine Gliedmaßen in die Länge, bis er das Reißen der Sehnen zu hören glaubte und den Kopf hin und her warf in dem wortlosen Flehen, die Marter zu beenden. Man setzte ihn auf eine Bank, spannte seine Beine in einen Block, streifte die Stiefel von seinen Füßen und stellte ein Kohlenfeuer darunter und erhitzte es, bis seine Haut sich schwärzte und Blasen warf, und weckte ihn mit einem Guß aus dem Wassereimer, wenn er darüber das Bewußtsein verlor. Und während all dieser Prozeduren gestand er heulend und
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