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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Jahren: Denk nach. Sein Herz pochte weiterhin so heftig, daß es das Zählen des Kardinals zu übertönen schien, lauter als seine Stimme und fünfmal so schnell wie sein Takt. Denk nach.
    »Dreißig«, sagte der Kardinal. »Ich frage mich, wie du auf den Gedanken gekommen bist, die Dokumente könnten hier sein. Einunddreißig.«
    Denk nach. Philipp wollte hervorsprudeln, daß er sich an die Zeichnungen erinnert hatte, von denen Dionisia ihm erzählt hatte: die Zeichnungen, mit denen Radolf versucht hatte, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen. Aufweichen Pergamenten hatte er sie angefertigt? Aber die Zeit erschien ihm zu kostbar, um sie mit Erklärungen zu vertrödeln. Die Zeichnungen Radolfs. Was wäre unverfänglicher, als sie auf der Rückseite der Dokumente anzufertigen, die er aus dem Kloster geholt hatte?
    »Ich dachte, sie seien in der Truhe«, stieß er hervor. »Habt ihr Zeichnungen in der Truhe gefunden?«
    »Zeichnungen?« fragte der Kardinal und vergaß für einen Augenblick weiterzuzählen. »Was für Zeichnungen?«
    »Etwas wie Buchillustrationen ...«
    »Willst du mir erzählen, Radolf hat die Dokumente verziert? Was soll das?« Der Kardinal zog die Augenbrauen zusammen. »Wo war ich? Vierzig! «
    »Nein«, stöhnte Philipp verzweifelt. »Hört mir doch zu ...«
    »Philipp«, sagte Aude mit ruhiger Stimme. Er starrte sie hilflos an. Sie hob den Arm und deutete auf die Wand, an der die Stickereien befestigt waren. Philipp und der Kardinal folgten ihrem Blick. Dann weiteten sich Giovanni da Uzzanos Augen. Er trat einen Schritt vor und riß Philipp die Fackel aus der Hand, um die Stickereien zu beleuchten.
    Sie waren in krude Rahmen gespannt, als hätte Dionisia keine Lust gehabt, die vollendeten Stickereien aus ihrem Spannrahmen zu entfernen. Bei näherem Hinsehen erwies sich, daß es gar keine Stickereien waren. Der Kardinal riß einen der schiefen Rahmen von der Wand und hielt ihn sich vor die Augen. In den Rahmen war ein Pergament gespannt, auf dem, in verblassender, billiger Tusche, ein gewaltiges D gemalt war, ein Buchstabe wie eine Kathedrale, bestehend aus massiven Aufstrichen, gewölbten Querstrichen, verspielten Serifen und bevölkert mit einer Anzahl von Mönchen, Bauern und Tieren. Der Kardinal starrte darauf, dann drehte er den Rahmen um. Die Rückseite des Pergaments war eng in geschäftsmäßig kursiver Schrift beschrieben und besaß ein kleines Siegel an einem kurzen Band, das in eine Ecke des Rahmens gezwängt worden war. Der Kardinal schüttelte den Rahmen, und das Siegel fiel heraus und baumelte an seinem Bändchen. Philipp sah, daß Teile des Textes ausgestrichen und mit Randbemerkungen versehen waren.
    Giovanni da Uzzano hob die Fackel erneut und beleuchtete die anderen Stickereien, die in ähnlicher Weise mit ähnlich großen Rahmen an der Wand hingen. Sie trugen allesamt große Buchstaben: N, S, A.
    »D-N-S-A«, sagte der Kardinal laut.
    »Dionisia«, erklärte Philipp, der spürte, wie sich das Hämmern seines Herzen zu verlangsamen begann. »Radolf hat die Buchstaben ihres Namens für sie verziert.«
    Der Kardinal drückte ihm wortlos die Fackel in die Hand und pflückte die Pergamente von den Wänden. Er murmelte etwas in seiner Sprache, das Philipp nicht verstand. Dann wandte er sich um, die Rahmen auf beiden Armen balancierend, und lächelte das anerkennende Lächeln, das Philipp schon auf dem Hof seines Herrn gehaßt hatte.
    In diesen Augenblick hinein hasteten Schritte die Treppe herauf, und einer der Bewaffneten meldete außer Atem: »Ein Trupp von mindestens einem Dutzend Reiter kommt mit Fackeln durch das Dorf.«
    »Ha!« rief Philipp triumphierend. »Das ist mit Sicherheit mein Herr!«
    Der Kardinal warf ihm einen Seitenblick zu.
    »Natürlich ist er das«, sagte er. »Was dachtest du denn?« Er eilte aus der Tür, die Pergamente mit sich nehmend.
    »Bringt sie wieder hinunter in den Saal«, sagte er über die Schulter zu den Wächtern.
    Raimund von Siebeneich kam mit großen Schritten in den Saal gestürmt, einen offenen Mantel über einem an ihm ungewohnt kriegerischen Lederwams. Als er Philipp erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen. Seine Augen weiteten sich.
    »Was soll dieser Schabernack?« rief er und eilte auf den Kardinal zu. »In Eurer Botschaft stand, Philipp hätte dieses Haus bereits verlassen.«
    »Er ist wieder zurückgekommen«, erklärte der Kardinal leichthin. Er hielt die in die Rahmen gespannten Pergamente hoch. »Und Gott sei Dank, daß er es tat.

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