Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Kammer.«
»Er sah ziemlich übel aus«, bekräftigte Albert. Er deutete auf sein Gesicht. »Alles ein einziger Brei.«
»Wo ist das Mädchen?« fragte der Kardinal, aber er richtete die Frage an Philipp und Aude. Aude zuckte mit den Schultern.
»Der Pferdeknecht aus dem Dorf hatte ein Auge auf sie geworfen«, hörte sich Philipp sagen. »Ich nehme an, er hat sie zum Mitkommen überredet, als die Dörfler vom Tod ihres Herrn erfuhren und sich davonmachten.«
Giovanni da Uzzano zog ein Gesicht, aber er sagte nichts darauf. Er wandte sich wieder an Albert. »Ihr habt Euch nicht gerade ein Ruhmesblatt ausgestellt«, stieß er hervor. Albert ließ seinen Daumennagel fahren und rief. »Wir haben die Bauernschlampe in dem Dorf, den fahrenden Händler, den Pfaffen und Lambert mit seiner Familie aus Rotzbälgern beseitigt, ganz, wie Ernst es uns befohlen hat. Was können wir dafür, daß Ernst sich hat abstechen lassen, bevor die Arbeit beendet war?«
Der Kardinal machte eine rasche Handbewegung. »Schweigt jetzt!« herrschte er Albert an. »Und geht mir aus den Augen.« Er drehte sich um und begegnete den BlickenRaimunds, der sich umgewandt hatte und den Kardinal nachdenklich musterte.
»Sie haben Thomas und Lambert auf dem Gewissen«, rief Philipp, der den Blick Raimunds gesehen hatte. »Was habt Ihr mit diesen Leuten zu schaffen, Herr?«
Raimund sah ihn an, dann wandte er sich wieder dem Kardinal zu, der zurück in die Kammer trat. Der Vorhang fiel herunter, und aus den gedämpften Stimmen, die gleich danach ertönten, war nicht herauszuhören, was Raimund und Giovanni einander zu sagen hatten. Philipp erwartete, daß sein Herr jeden Moment mit zornfunkelnden Augen aus der Kammer gestürmt käme. Als dies nicht geschah und auch die Stimmen hinter den Decken sich nicht erhoben, sank sein Mut.
»Was soll das?« murmelte er und sah zu Boden. Er hatte Angst, ihm würde plötzlich speiübel werden. Aude betrachtete ihn und hätte gern seine Hand genommen, aber sie wußte, daß ihre Bewacher sie nicht zu ihm lassen würden.
Albert stapfte aufgebracht zu seinen Gefährten. Diese sahen ihm beinahe mitfühlend entgegen. »Möchte mal wissen, ob in den anderen Teilen des Reiches alles einwandfrei geklappt hat«, brummte einer, aber Albert winkte ab. »Wenigstens haben wir Ernsts Gaul eingefangen; der ist was wert«, murmelte der andere. »Frage mich nur, wie das Biest allein bis vor das Kloster laufen konnte und wem der zerrissene Strick gehörte, den es um den Hals hatte.« Zusammen traten sie in den donjon hinaus. Die zwei ehemaligen Kumpane Ernsts folgten ihnen; offensichtlich akzeptierten sie nach dem Tod ihres Herrn jetzt Albert als ihren neuen Anführer. Aude hörte, wie sie sich draußen geräuschvoll auf die Bänke setzten und ihre Waffen und Helme ablegten. Der Saal schien auf einmal fast leer zu sein. Neben den vier Männern, die sie und Philipp bewachten, befanden sich nur noch drei andere Bewaffnete im Saal. Sie waren mit Raimund und dem Kanzler gekommen. Zwei davon trugen die Wämser der Wache des Kanzlers; der dritte trug ein anderes Wappen auf seinem Hemd. Es dauerte eine Weile, bis Aude die Heraldik erkannte: Es waren sieben schwarze Bäume vor einem grünen Hintergrund. Der Mann musterte Philipp, aber dann schien er Audes Blick zu bemerken und wandte sich ihr zu. Er nickte. Sie kannte ihn, wenn auch nicht dem Namen nach; es war einer der Bewaffneten von Raimunds Hof. Er sah von ihr zu Philipp und wieder zurück zu ihr und zuckte mit den Schultern. Philipp sah nicht auf. Aude war sich sicher, daß er den Bewaffneten noch gar nicht bemerkt hatte. Dessen Gesicht drückte Verwirrung aus, aber auch einen gewissen Unwillen gegenüber dem Umstand, daß man Philipp bewachte wie einen Verbrecher. Aude fragte sich, wem gegenüber der Mann seine Loyalität beweisen würde, wenn Raimund sich gegen Philipp stellte.
»Dem Herbergspächter scheint nichts zugestoßen zu sein«, sagte sie leise zu Philipp. Dieser nickte langsam.
»Ja. Die Bestie muß aus seinem Stall ausgebrochen sein. Er weiß vermutlich gar nicht, was das für ein Glück war.« Er sprach ebenso leise wie sie.
Zuletzt wurden die Decken von Radolfs Kammer erneut zurückgeschlagen. Der Kardinal trug die Pergamente wieder vor sich her, als handle es sich um einen wertvollen Schatz. Der Kanzler sah wie betäubt aus, während Raimunds Gesicht ausdruckslos war. Giovanni da Uzzano schritt zum Kamin und warf die Pergamente in die Flammen. Alle drei sahen zu,
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