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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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genügend gefüllte Börse besaßen. Die Decken rochen streng nach Rauch und rohem Speck, denn der Wirt hängte sie nach dem Gebrauch zusammen mit dem Räucherfleisch über die Trockensparren, um auch aus ihnen ein etwa vom vorigen Benutzer übergewandertes Ungeziefer zu vertreiben. Diese Tatsache und die farngepolsterten Schlafstätten hatten dem Wirt einen hohen Ruf in der Stadt verschafft, und nicht jeder Reisende oder Übernachtungsgast konnte es sich leisten, die Dienste des Wirtes in Anspruch zu nehmen. Raimund hatte, noch aus den Zeiten, in denen er sich öfter in der Stadt aufgehalten hatte, die einzige Kammer der Herberge gemietet, und wenn Philipp in seinem Auftrag in der Stadt war, stand sie ihm für seine Nachtruhe zur Verfügung. Die Kammer war nichts anderes als ein Bretterverschlag am einen Ende des Schlafsaals, dessen Zugang mit Decken abgehängt war.
    Philipp genoß die Zurückgezogenheit der Räumlichkeit; und zugleich fühlte er sich darin unwohl. Unwohl, weil ihm der Gedanke noch immer nicht geläufig war, ab und an einen Raum für sich selbst zu haben, in den er sich zurückziehen konnte. Weder hatte er im Kloster etwas Derartiges besessen, noch stand es ihm auf dem Gut zur Verfügung. Im Kloster hatte es wohl reiche Söhne gegeben, die privitas genossen und deren Väter für dieses Vorrecht aufkamen; aber sie waren niemals ganz in der Gemeinschaft aufgegangen. Sie hatten an den Messen, Speisungen, Vorlesungen und Arbeiten teilgenommen, die das wache Leben des Mönchs erfüllten. Aber die nächtlichen Rituale, die unschuldigen und die lüsternen Spiele der heranwachsenden Knaben, die mehr als die Gebete des Abtes und die Ordensregeln dafür sorgten, daß schon die Novizen sich als Teil der Gemeinschaft fühlten, in der sie als Mönche später eingebettet sein würden, teilten sie nicht.
    Philipp, der seine Eltern, die ihn an der Klosterpforte abgegeben hatten, nicht kannte, hatte im gemeinsamen dormitorium genächtigt und war dennoch ebensowenig wie die reichen Novizen ein Teil der Gemeinschaft geworden. Vielleicht lag darin der Hauptgrund, warum es ihm neben der Wohltat der eigenen privaten Sphäre Unbehagen bereitet, diese zu genießen: Weil er sich sein ganzes Leben lang neben den anderen stehend empfunden hatte und der Besitz dieses Zimmers – wenn auch wenige Male im Jahr und nur für kurze Zeit – ihn daran erinnerte, wie vergeblich er sich während seiner Klosterzeit nach einem solchen eigenen Raum gesehnt hatte, um der erdrückenden Enge einer Gemeinsamkeit zu entgehen, zu der er niemals gehört hatte.
    Philipp lag wach auf der Pritsche in der Kammer und lauschte den Geräuschen der Schläfer draußen im großen Saal. Der Saal war nahezu voll; der Markt war einer der ersten des Jahres gewesen, der auch die Händler in die Stadt führte, nachdem der Winter unverhältnismäßig lange regiert hatte und der Frühling erst weit nach Ostern endgültig hatte Fuß fassen können. Philipp, der sich nachdem Dunkelwerden in der Herberge eingefunden hatte, war erstaunt gewesen, über wie viele Säcke und Packtaschen und Kleiderbündel er sich seinen Weg in seinen Raum hatte tasten müssen, verfolgt von den alarmierten Rufen der von seinen Bewegungen geweckten Schläfer, die ihn im ersten Schreck für einen Dieb hielten.
    Philipp dachte über Minstrel nach. Um es genauer zu sagen: Er dachte über Freundschaft nach. Betrachtete man Philipps bisheriges Leben, hatte es seit dem Verlassen des Klosters eine atemberaubende Wende zum Besseren genommen: seine Stellung auf dem Hof seines Herrn, das Vertrauen, das er genoß, die Freiheit, mit der er sich bewegen konnte. Gewiß, Philipps Herr benahm sich mehr als freundschaftlich in seiner Großzügigkeit und seinem Vertrauen ihm gegenüber, aber abgesehen von all dem war und blieb er sein Herr. Die Männer und Frauen, die auf dem Hof arbeiteten, begegneten ihm mit freundlichem Respekt – aber Philipp war sich niemals sicher, ob ihre Freundlichkeit nicht einfach darauf beruhte, daß er die rechte Hand des Herrn war. In der Stadt gab es weder Mann noch Weib, die sich für ihn außerhalb geschäftlicher Verbindungen interessierten. Minstrel war anders.
    Minstrel war ein Trinker, und er war stolz, ohne arrogant zu sein, besaß die vollendeten Manieren eines höfischen Minnesängers und eine Offenheit, die klarstellte, daß er kein Mann der Kompromisse war. Er besaß Würde; das war es, was ihn am besten charakterisierte. Er war unglücklich und allein und hatte

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