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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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keine Bedeutung beimessen?«
    »Ich bin erstaunt über Euren klaren Blick, was die Funktion des Klerus betrifft«, sagte Minstrel amüsiert.
    »Ich war bis zur Adoleszenz ein Novize im Kloster«, erklärte Philipp. »Ich habe einige Lektionen genossen, die sich mit dem Selbstbewußtsein der Kirche befaßten.«
    »Lektionen, die ohne Zweifel auch Eure Kameraden gehört haben; und dennoch bin ich sicher, daß sie sie anders interpretiert hätten.«
    »Es waren Lektionen, die von der Einheit und der Gemeinschaftlichkeit der Wissenden erzählten und wie diese sie dazu bestimmten, die Schafe zu leiten, die das wankelmütige Volk darstellten. Vielleicht habe ich sie anders verstanden, weil ich die Gemeinschaftlichkeit nichtspüren konnte.« Philipp war zum zweiten Mal erstaunt über die Offenheit, die Minstrels Gegenwart in ihm auslöste.
    »Anders zu denken als die anderen ist nicht zwangsläufig etwas Schlechtes«, sagte Minstrel. »Zuweilen verhindert es, daß einem der Geist verklebt wird.« Es klang, als habe er alle Erfahrung der Welt darin, anders zu denken. »Was nun Eure Sorge um des Kaisers Empfinden für das Volk angeht – wieso glaubt Ihr, den Kaiser müsse es interessieren, was das Volk denkt? Es ist nicht das Volk, das ihn wählt.«
    »Aber es kann ihm doch nicht egal sein, wenn das Volk belogen wird.«
    »Daran ist es selbst schuld«, sagte Minstrel. »Das Volk kann leicht betrogen werden, da es sich für so abgeklärt hält, niemandem etwas zu glauben und über den feinen Reden der Herren zu stehen, die es ohnehin nicht versteht. In Wahrheit ist die Abgeklärtheit nur der Mangel an Interesse, und demjenigen, dem es gelingt, sich für sie interessant zu machen, glauben sie zuletzt doch unbesehen alles.«
    »Und was ist mit den Fürsten? Die Priester werden doch auch vor ihren Ohren gegen den Kaiser hetzen.«
    »Das ist wahr. Nur ist es bei den Fürsten anders, denn sie glauben in erster Linie nur an sich selbst und ihren persönlichen Vorteil, und sie werden demjenigen die Treue halten, von dem sie sich den größten Vorteil versprechen. Solange das der Kaiser ist, muß er über die Bemühungen der Pfaffen nicht besorgt sein.« Minstrel verstummte plötzlich, als wäre da doch etwas, über das der Kaiser sehr wohl besorgt sein müsse, aber er sprach es nicht aus. Sein Gesicht war nachdenklich. »Kennt Ihr die Geschichte von der Zauberin, die eine Truhe besaß, deren Inhalt niemandkannte – nicht einmal sie selbst? Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus und öffnete die Truhe. Es stellte sich heraus, daß sie mit dem Bösen der Welt gefüllt war: mit Krankheiten, Pestilenz, mit Eifersucht und Gier, mit Mord und Habsucht. Es gibt viele solcher Truhen; manchmal findet jemand eine davon und macht sie auf, und die Teufel spazieren heraus.«
    »Ich verstehe nicht, was Ihr damit meint«, sagte Philipp, aber Minstrel hatte den Blick auf die Tischplatte gerichtet und murmelte: »Die Teufel sind schon unter uns. Sie haben sich nicht die Gestalt von Ungeheuern gegeben, so einfältig sind sie nicht. Es kämpfen nicht Könige gegen Drachen, sondern die Drachen kämpfen gegeneinander, und wer immer gewinnt, frißt die auf, die den Kampf überlebt haben.« Er sah Philipp an.
    »Mein Freund, sie sind längst unter uns, und ihre Klauen sind Betrug und ihre Zähne sind Lügen. Sie haben uns geraubt, was wir gewußt haben, und jetzt wollen sie uns das rauben, woran wir glauben. Die Drachen hocken in ihren Höhlen und senden ihre Knechte, die ihnen ihre Seelen verkauft haben, in alle Himmelsrichtungen aus. Aber ich hole mir meine Seele wieder zurück. Ich hole sie mir wieder zurück.«
    Sein Kopf sank auf den Tisch, und er schlief ein.
    Nicht weit entfernt vom »Kaiserelefanten« stand, zwischen Neugassentor und Drachenpforte und einen Steinwurf vom Palast des Erzbischofs entfernt, eine Herberge mit dem naheliegenden Namen »Zum Drachen«. Die Herberge besaß keinerlei Eß- oder Trinkstube, dafür aber eine ganze Anzahl von Stallungen und in ihrem oberen Stockwerk einen geräumigen Schlafraum mit einer Anzahl Einzelpritschen und einem großen Bett für mindestens zwei Dutzend Schlafende. Pritschen und Bett waren mit Farnkraut gepolstert, das anders als das üblicherweise verwendete Stroh das Ungeziefer fernhielt, und der Wirt hielt ein knappes Dutzend schwerer Decken auf Vorrat, die er gegen Aufpreis an diejenigen Ruhesuchenden vermietete, deren Reisemantel zu dünn oder zu naß war oder die keinen Reisemantel, aber eine

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