Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Augenblick auf mich; ich werde nachsehen, ob ich etwas über Euren Mann finde.«
»Habt Ihr die ganzen Dokumente des Judenviertels gesammelt?« fragte Philipp unwillkürlich.
Benjamin sah ihn einen Moment lang starr an, ohne etwas zu antworten.
»Wir Juden haben Respekt vor dem Geschriebenen«, sagte er dann. »Respekt vor dem Herrn, der aus uns das Volk des Buches gemacht hat. Auch Ihr seid ein Volk des Buches, aber Ihr seid dabei, Eure Vergangenheit zu vergessen. Wir tun dies nicht; und weil unsere Vergangenheit auch die Eure ist, weil wir, ob wir es wollten oder nicht, unsere Wege gemeinsam zurückgelegt haben, können wir Euch vielleicht Eure eigene Vergangenheit zurückgeben, und dann kann der Haß aufhören, der Euch immer wieder gegen uns wendet.«
Der Geldverleiher machte eine resignierte Geste. »Wir haben viel gemeinsam, und doch behandelt Ihr uns wie eine Krankheit. Wir dürfen nicht die Dienste Eurer Hebammen und Ammen in Anspruch nehmen, und Ihr dürft nicht zu unseren Ärzten gehen, selbst wenn wir die einzigen sind, die helfen könnten. Wenn ein Christ eine Jüdin heiratet und zu unserem Glauben übertritt, wird er am Pfahl verbrannt. Wenn Euer Papst ins Horn gegen die Muselmanen stößt, fallt Ihr zuerst über die jüdische Bevölkerung in Euren eigenen Städten her. Und in den letzten Jahren häufen sich die Schandtaten, wohin man blickt. In Baden hat man erst vor kurzem ein Massaker unter der jüdischen Bevölkerung verübt unter dem Vorwand, sie hätten einen Mord begangen. In Belitz hat man vor zwei Jahren sämtliche jüdischen Bewohner bei lebendigem Leibe verbrannt, weil sie angeblich Eure Hostie geschändet hätten. Im Süden des Frankenreichs wurden die Juden in den Städten zusammengetrieben und alle, die sich nicht taufen lassen wollten, mit den Pferden zusammengeritten und zertrampelt.«
»Der Papst hat diese Gemetzel verurteilt«, verteidigte sich Philipp.
»Er kann die Toten nicht wieder lebendig machen. Aber ich will Euch recht geben, es finden sich immer wieder welche unter Euch, die den Idealen gemäß handeln, auf welche Ihr Euren Glauben gründet, und den Verfolgten helfen. Die Schikanen jedoch zeigen sich nicht nur im Großen; auch im Kleinen nehmt Ihr uns die Luft zum Atmen, wo immer Ihr könnt. Wir werden enteignet, wenn wir zuviel besitzen, vertrieben, wenn wir nichts mehr besitzen, und straflos umgebracht, wenn wir auf der Flucht sind. Und seit einigen Jahren verbrennt Ihr auch unsere Bücher. Früher habt ihr uns wenigstens noch unsere Schriften gelassen.« Ben Petachya erhob seine Stimme. »Wir sind ein Volk ohne Heimat, und unsere Bücher und Dokumente sind alles, was wir haben, um unsere Identität zu bewahren und unsere Erinnerungen lebendig zu halten. Ihr stützt Euren Glauben selbst auf ein Buch und haltet nicht ein, unser Schrifttum zu zerstören.«
Der Geldverleiher schwieg und starrte Philipp an, als würde er von ihm eine Antwort erwarten. Philipp versuchte, seinem Blick nicht auszuweichen. Endlich drehte sich Benjamin ben Petachya um und murmelte: »Wartet hier.« Er schloß die Tür und schob hörbar einen Riegel vor.
»Warum komme ich mir jetzt vor wie der Prügelknabe der Christenheit?« brummte Philipp.
»Er hat Vertrauen zu Euch gefaßt, aber trotzdem läßt er Euch vor der Tür stehen wie einen Hausierer«, sagte Aude nach einer Weile trocken. Philipp wandte sich ab und trat gegen den unebenen Boden.
»Er hat kein Vertrauen gefaßt«, sagte er ungehalten. »Er hält mich nur für weniger verbrecherisch als den Rest der Christenheit, weil er meinen Herrn als ehrlich kennengelernt hat. Zu einer Einladung, seine Sammlung an Schrifttum zu begutachten, reicht das noch lange nicht.« Er kniff die Augen zusammen und musterte die bröckelnde Fassade, die sich ihm sanft entgegenneigte. »Wahrscheinlich ist es sowieso gesünder, draußen zu bleiben.«
»Es hat mir gefallen, als er das mit unserer Vergangenheit erwähnte, die sein Volk uns wiedergeben könne. Es war poetisch.«
»Es war hirnrissig, sonst nichts. Glaubt Ihr vielleicht, die armen Schweine haben eine Chance, wenn sich ein Fürst in den Kopf setzt, sie auszuräuchern? Jedermann wird sich sofort über die Papiere der Juden hermachen. Es könnte ja was über ihn selbst und seine Geldgeschäfte mit ihnen drinstehen.«
»Ihr seid garstig, wenn Ihr so redet.«
»Die Welt ist garstig, nicht ich.«
»Du lieber Himmel«, rief Aude. »Was ist Euch denn plötzlich über die Leber gelaufen?«
»Nichts«,
Weitere Kostenlose Bücher