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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Beutel. »In Wahrheit geschehen gar keine Verbrechen außer denen, die wir verüben und die wir dann den anderen Leuten in die Schuhe schieben.« Er grinste und befahl seinen Männern mit einer Geste, sich zu sammeln. Dann wandte er sich zu den Umstehenden und rief laut: »Das Haus des Geldverleihers Yohai ben David ist hiermit beschlagnahmt und darf von keiner Person im Judenviertel betreten werden. Die Personen, die sich noch darin befinden, haben es bis zum Anbruch der Dunkelheit zu verlassen.«
    Aus der Menge der Zuschauer protestierte niemand. Die meisten schlugen die Augen nieder und blickten mit stummer Wut zu Boden.
    »Was ist mir dir, Philipp? Begleitest du uns?« fragte Rutger. »Ich ... ich muß noch jemand anderen im Judenviertel aufsuchen«, stotterte Philipp.
    Rutger warf Aude einen Blick zu, der halb anzüglich und halb amüsiert schien, als mache er sich Gedanken, ob Philipp einen weiteren Geldverleiher aufsuchen wolle und was Aude damit zu tun haben könne, dann nickte er ihr zu.
    Aude, die seinen Gesichtsausdruck richtig interpretiert hatte, warf den Kopf zurück. Rutger grinste und klopfte Philipp auf die Schulter.
    »Viel Glück bei deinen Geschäften.« Er brachte seinen Mund an Philipps Ohr und flüsterte: »Und laß keine Leute zu dir in die Kammer, die du nicht kennst.« Rutger lachte laut und befahl seinen Männern, Yohai ben David abzuführen. Er stülpte sich den Helm über den Kopf und setzte sich an die Spitze seines kleinen Trupps. Die Büttel stapften mit festen Tritten davon; der Geldverleiher in ihrer Mitte begleitete sie widerstandslos. Zwei von ihnen zerrten die Säcke mit den Unterlagen ben Davids hinter sich her. Philipp öffnete die Fäuste und atmete tief aus. Er sah an sich hinunter und bemerkte, daß er das Buch mit der gleichen beschützenden Geste wie der Junge an sich gedrückt hielt.
    Die Zuschauer begannen sich zu zerstreuen. Einige von ihnen gingen zu dem Jungen hinüber, der mit der Wand in seinem Rücken auf dem Boden hockte. Er schniefte und wischte sich mit den Händen über die Tränenspuren in seinem Gesicht, aber er nickte zu dem, was ihm leise gesagt wurde. Aus dem Haus ertönte das ziellose Scheppern von jemandem, der versucht, resigniert Ordnung in ein hoffnungsloses Chaos zu bringen, und das unterdrückte Weinen einer Frau.
    Philipp marschierte zu dem Jungen hinüber und sah auf ihn hinunter. Nach einem kurzen Augenblick setzte er sich neben ihn auf den Boden und legte ihm das Buch vor die Füße. Der Junge starrte zuerst ihn und dann den Folianten an.
    »Würdest du mir erlauben, etwas darin nachzusehen?« fragte Philipp. Der Junge zuckte mit den Achseln.
    Philipp nahm das Buch wieder vom Boden und schlug es auf. Aude sah ihm dabei zu, wie er mit dem Finger flink über die Seiten fuhr und die Einträge musterte. Er murmelte etwas zu dem Jungen, und dieser erwachte weit genug aus seiner Betäubung, um ebenfalls in das Buch hineinzusehen und ihm anscheinend eine Erklärung zu geben, wonach er zu suchen hatte. Philipp befeuchtete mit der beiläufigen Bewegung des Geübten seine Finger und blätterte mehrere Seiten um. Der Junge faßte zu ihm hinüber und schlug noch einige Seiten weiter, dann beugten sie beide die Köpfe über das Buch und lasen die Einträge. Die Unbefangenheit, mit der Philipp Schulter an Schulter mit dem Knaben saß, bewegte Aude, ohne daß ihr recht bewußt wurde, warum. Philipp warf dem Jungen einen Seitenblick zu und brummte eine halblaute Bemerkung; an der Art, wie er den Mund spitzte, erkannte Aude, daß er einen seiner Scherze gemacht hatte. Der Junge verzog tatsächlich die Lippen und lächelte. Philipp klappte das Buch zu und tat so, als brauche er die Schulter des Knaben als Stütze, um vom Boden aufzustehen. Der Junge richtete sich mit ihm zusammen auf. Philipp drückte ihm das Buch in die Hände.
    »Du weißt, daß du es zu Benjamin ben Petachya bringen mußt, nicht wahr?« fragte er. Der Junge nickte zögernd und offenbar verwirrt, daß auch Philipp es wußte. Philipp hielt ihm die offene Hand hin, und der Knabe schlug nach einigen Momenten der Unsicherheit ein. Er straffte sich; daß ihm diese erwachsene Geste entgegengebracht wurde, gab ihm für ein paar kleine Augenblicke Sicherheit.
    Philipp bestieg sein Pferd. Er nickte Aude zu und trieb es an. Der Junge winkte ihm zu, und er winkte zurück. Er schwieg, bis sie langsam durch die Marspforte hinausgeritten waren. Aude fühlte, wie eine Beklemmung von ihr wich, nachdem sie das

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