Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
mehr. Die Zeichen wurden zu deutlich. Die Bürger kehrten in ihre Häuser, die Hübschlerinnen zu Lagern und Philipp zu seinem Pferd zurück, während ein weiteres Kontingent Büttel die Kombattanten abführte.
Philipp war nachdenklich. Der Päpstliche hatte etwas gesagt, das einen schon die ganze Zeit nagenden Gedanken wieder an die Oberfläche gebracht hatte. Gute Mönche hatten Unterlagen in ihren Regalen verborgen. Was das für den Kaiser bedeutete, kümmerte Philipp im Moment nur peripher. Was es für Radolf oder besser gesagt für Dionisia bedeuten konnte, war, was ihn interessierte. Gute Mönche hatten Unterlagen in ihren Regalen verborgen.
Er konnte sich gut an die Eigenheiten von Bruder Fredgar, dem Archivar von Sankt Peter, erinnern. Die Dokumente waren sein Augapfel gewesen, und hätte es in seinem Archiv gebrannt, er hätte eher die Bücher gerettet und seine Novizen in den Flammen umkommen lassen als umgekehrt. Was immer Radolf gegen ihn in der Hand gehabt hatte, Fredgar hätte ihm keinesfalls die originalen Dokumente überlassen, und sei ihr Inhalt von noch so marginaler Natur. Er hatte sich Abschriften gemacht und Radolf diese übereignet, was Radolf zweifellos für die Originalunterlagen gehalten haben mußte. Philipp brauchte sich nur Einsicht in sie zu verschaffen. Radolf mochte sich ärgern, wenn es ihm klar wurde, daß der Archivar ihn hereingelegt hatte, aber er würde rasch erkennen, daß ihm nun ein Vorteil daraus erwuchs.
Und was Philipps Abneigung dagegen betraf, in das Kloster zurückzukehren: Er dachte an Dionisia und daß sein Gang für sie sein würde und bildete sich ein, daß ihm danach leichter ums Herz war.
Jugendfreunde
D as Kloster Sankt Peter lag im Süden der Stadt, von ihr eine lange Tagesreise flußabwärts entfernt, wenn man ein Pferd oder einen Esel besaß und es nicht eilig hatte, und zwei Tagesmärsche für diejenigen, die zu Fuß dorthin aufbrachen. Es lag am östlichen Rheinufer, etwa in der Mitte zwischen den Besitzen von Raimund von Siebeneich und Radolf Vacillarius. Philipp, der Galbert spät am Morgen aufgetragen hatte, sich an seiner Stelle um Aude zu kümmern und davongeritten war, ohne sich von ihr zu verabschieden (in der naheliegenden Annahme, daß sie darauf bestanden hätte, ihn zum Kloster zu begleiten), und der es eilig hatte, erreichte es kurz vor dem Abendläuten. Während der letzten Stunde seiner Reise hatte er den gedrungenen Turm der Klosterkirche als vagen Umriß in den Feldern gesehen und erfreut die kultivierten Äcker betrachtet, die das Kloster weiträumig umgaben. Die Äcker bedeuteten die Anwesenheit von Menschen und die relative Sicherheit vor Strauchdieben.
Jetzt fühlte Philipp das Klopfen seines Herzens, während er sich dem Haupttor in der Westmauer näherte. In den Jahren seit seinem Austritt aus dem Kloster als Jüngling war er nicht mehr zurückgekehrt an diesen Ort, der ihm seine gesamte Kindheit über als Heimat gedient hatte – ungeliebt zwar, aber doch der einzige, den er mit diesem Begriff verbunden hatte, bis er achtzehn Jahre alt geworden war. Wie werden sie mich empfangen? dachte er und warsich nicht mehr ganz so sicher, daß sein Einfall hierherzukommen gut gewesen war. Es war nichts Illegales an seiner Demission gewesen; sein jetziger Herr, dem Kloster seit Jahren verbunden, war auf ihn aufmerksam geworden und hatte ihm angeboten, ihn aus dem Kloster freizukaufen und ihm eine Stelle an seinem Hof zu verschaffen. Er hatte ihm darüber hinaus nichts zugesichert, aber Philipp hatte die Gelegenheit ergriffen und zur Feier seiner Volljährigkeit den Abt gebeten, das Kloster verlassen zu dürfen. Der Abt verordnete ihm zwei Tage des Betens und Fastens in der Abgeschiedenheit der Kapelle, um seinen Entschluß zu überdenken, und Philipp verbrachte achtundvierzig Stunden in der Hölle seiner eigenen Entschlußlosigkeit, da ihm nach kurzer Zeit bewußt wurde, daß er mit diesem Schritt zu allem Lebewohl sagen würde, was bisher seine Persönlichkeit ausgemacht hatte. Zuletzt kroch er, geschwächt von Hunger und Durst und Schlaflosigkeit, in das Sprechzimmer des Abtes und hörte sich dabei zu, wie er mit brüchiger Stimme seinen Entschluß bekräftigte. Der Abt erteilte ihm seinen Segen, bat ihn, sich auch in der Verderbtheit der Welt nicht vom rechten Pfad abbringen zu lassen, und entließ ihn. Als Philipp vor der Mauer stand und das Tor sich hinter ihm schloß, war er sich sicher, den größten Fehler seines Lebens gemacht zu
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