Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Vergnügen gebracht worden waren. Sie sahen sich gehetzt um, prallten beim Anblick der draußen versammelten Hübschlerinnen (die ihnen verächtlich nachzischten) und dann bei Philipps Anblick erschrocken zurück und rannten mit schamhaft an ihren Unterleib gepreßten Wämsern in die nächste Gasse hinein. Ihre hellen Kehrseiten wackelten im Gleichmaß ihrer panischen Schritte. Philipp sah ihnen nach und grinste bis über beide Ohren.
Mit dem Eintreffen der Büttel, die von einem ungeduldigvoranlaufenden Otto hergeführt wurden, scharten sich auch die ersten Nachbarn aus den angrenzenden Gassen zusammen, um etwas über das Spektakel zu erfahren. Die Büttel kamen in Truppstärke, zwölf Männer, die ohne zu zögern in das dunkle Innere des Hauses tauchten und von den Frauen kreischend angefeuert wurden. Schon nach wenigen Augenblicken verstärkte sich der Aufruhr im Inneren erheblich. Die Büttel, angestellt in einer Stadt, in der drei Viertel des Jahres Pilgersaison herrschte und in der die Anzahl der öffentlichen und heimlichen Badehäuser noch die Anzahl der Reliquienschreine übertraf, waren Kummer in jenen Stätten gewöhnt. Sie mischten sich mit erbarmungsloser Präzision in den Kampf. Es dauerte nur kurze Zeit, dann erreichte der Lärm seinen Höhepunkt, bevor er abflaute und endlich Stille zurückließ. Aus dem Inneren des Hauses war ein leises Stöhnen zu hören.
Während die Büttel die Streithähne und jene, die unschuldig in den Konflikt geraten waren, aus dem Haus schafften und draußen in die schwerer und leichter Verletzten sortierten, erfuhr die neugierig herandrängende Menge die ersten Einzelheiten. Es hatten sich, vom Wein angefeuert, plötzlich zwei Gruppen unter den Trinkenden gebildet, deren eine mit der Kürze ihres künftigen Verweilens im Fegefeuer prahlte, so oft hätten sie den Hetzpredigten gegen den Kaiser gelauscht; während die andere weder die Aussicht auf den Ablaß noch die Hetzreden selbst besonders lustig fand und für den Kaiser Front machte. Nachdem sich die beiden Lager gebildet hatten, entbrannten sie an der Frage, die auch die beiden Hauptpersonen ihrer Erörterungen ausweglos beschäftigte: Wer war wem untertan, der Kaiser dem Papst oder der Papst dem Kaiser? Die Kaiserlichen hielten dafür, daß das Beispiel von KarolusMagnus, welcher sich selbst gekrönt hatte, deutlich die Vorzugsstellung des Kaisers hervorhob. Die Päpstlichen ziehen sie ob dieser Aussage der Lüge und drohten, man werde schon noch sehen, was die Heerscharen der offiziell mit der Klärung dieser Frage betrauten Schriftgelehrten aus den Archiven hervorholen würden. Wer mit den Gewalttätigkeiten angefangen hatte, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei klären. Die Büttel jedoch waren keine Ratsbüttel, sondern handelten im Auftrag des bischöflichen Vogtes, und es war klar zu erkennen, daß sie auf der Seite der päpstlichen Partei standen und die Schuld bei den Kaiserlichen suchten. Das Rudel herbeistürzender Bader wurde von ihnen in Richtung der verletzten Päpstlichen geleitet, während die Kaiserlichen auf ihre Hilfe warten mußten.
Plötzlich richtete sich einer von den angeschlagenen Päpstlichen auf und rief zum Lager der Kaiserlichen hinüber: »Der Ketzer kann die Wahrheit nicht ewig in seinen Archiven verborgen halten. Gott wird ihm seine finsteren Geheimnisse entreißen.«
»Kratz ab!« schimpften ein paar von den Kaiserlichen zurück, doch angesichts der massiv vor ihnen lauernden Büttel war ihr Kampfgeist gebrochen. Der Päpstliche schien es zu spüren.
»Es nützt ihm gar nichts, daß er Klöster geplündert hat und alle Schätze und Schriften in sein Teufelsreich nach Apulien verbringen ließ. Er hat auf keinen Fall alles in seine Schwefelkrallen bekommen, und was gute Mönche mit ihrem Leben in den Regalen beschützt haben, wird ihm endlich das Genick brechen.«
Die Menge lief langsam wieder auseinander; zur Abwechslung nicht geneigt, in den Streit einzugreifen. Vielleichtwar es die drohende Anwesenheit der Büttel, vielleicht war es die Tatsache, daß dieser Ausbruch von Feindseligkeiten nur ein Symptom des Siedens war, unter dem das gesamte Reich sich zusammenzukauern schien wie ein Tier kurz vor dem Sprung und die Bürger sich vor dem abzusehenden Ausbruch des Tieres ängstigten und ihn auf keine Weise beschleunigen wollten. Sie hatten noch Partei ergriffen, als der Prophet den Zorn der beiden Fraktionen kurzfristig in seiner Person akkumuliert hatte; jetzt taten sie es nicht
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