Der Jakobsweg
Augen.
Leicht beleidigt laufe ich voraus. Es ist früh am Nachmittag, als wir unseren Zielort erreichen. Nach einigen Absagen, die uns ziemlich kalt lassen, finden wir dann eine Bleibe.
Mit Inka bin ich wieder versöhnt; das hat sie allerdings eine ganze Packung, ‚Wienerli’ gekostet. Na ja, sie ist doch ein Schatzli, mein Fraueli...
Die Sonne täuscht. Es ist lausekalt und der Wind pfeift mir um die Ohren. Deshalb ziehe ich meinen Regenanzug an. Mit Kapuze zu laufen ist recht mühsam, sie behindert mich. Schließlich muss ich sehr genau auf die gelben Pfeile achten. Andere Wege kreuzen den unseren. Bin ich noch auf dem richtigen?
Als wir an einen Fluss kommen, bin ich zunächst etwas irritiert. Wie soll ich ans andere Ufer kommen? Erfreulicherweise hilft mir ein Bauer weiter. Wir sprechen zwar nicht die gleiche Sprache, aber wir verstehen uns.
Er nimmt mich auf seinem Traktor mit über den Fluss und der Umweg über die N-120 bleibt mir erspart.
In Sahagún finden wir nach vier Absagen ein schönes Zimmer.
Danach gehen wir ein wenig spazieren und picknicken auf dem Kirchplatz. Hier ist es ruhig. Ich beobachte die Störche, die auf dem Kirchturm nisten, und frage mich, ob es die gleichen sind, die uns seit zwei Tagen begleiten.
Mir ist warm und wohlig zumute.
Später ruft Walti an und berichtet, seine Mutter sei gestürzt und liege im Krankenhaus. Dass sie operiert werden soll, jagt mir einen Riesenschreck ein. Sie ist eine so liebenswerte alte Dame, voll Freude und Zufriedenheit. Mit ihren fast neunzig Jahren kann sie lachen wie ein Teenager. Ich denke ganz intensiv an sie. Es würde mir sehr weh tun, sie bei meiner Rückkehr nicht mehr anzutreffen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, sie wird die Operation und die damit verbundenen Strapazen gut überstehen.
14. Wandertag: Sahagún – Mansilla – 36 km
Mal Sonne, mal Regen. Ich habe mich schon an diesen ständigen Wetterwechsel gewöhnt. Inka offensichtlich nicht. Bei Regen ist sie nicht so gut drauf und geht mir ziemlich auf die Nerven.
„Tila, wo steckst du denn jetzt schon wieder?“, regt sie sich ab und an auf. Und das nur wegen des bisschen Regens. Ich habe versucht ihr zu zeigen, dass man sich bloß schütteln muss und schon prallt der Regen an einem ab, wie Speere vom Schutzschild im Kampf mit... zum Beispiel: Karl dem Großen, der nämlich hier in dieser Gegend, ich weiß nicht was gemacht haben soll.
Anstatt zu begreifen, stöhnt Inka: „Der Rucksack wird immer schwerer. ˝
Ich kapiere nicht, warum und weshalb sie diesen schrecklichen Fraß von Trockenfutter mit sich schleppt. Sie weiß doch, dass ich Schinken, Wienerli und Kekse viel lieber fresse. Und leichter sind diese Köstlichkeiten sowieso.
Da wird der Hund in der Pfanne verrückt. Es quakt und hüpft. Da muss ich hinterher! Inka lacht lauthals. Beinahe wäre ich ins Wasser gefallen. Aber was tut man nicht alles, damit die Stimmung besser wird.
Der Regen hat aufgehört. Trotzdem ist weit und breit keine Kreatur zu sehen, nicht einmal eine elende. Weil aber gerade eine Sonnenphase eintritt, beschließen wir zu rasten.
Es scheint, als ob Inka meine Gedanken lesen könnte. Es gibt doch tatsächlich Schinken und Wienerli. Brot muss nicht sein! Na gut, ohne Brot - keine Wurst. Also würge ich das Zeug runter und lächle bonbonsüß.
„In Mansilla de las Mulas gibt es nur wenige Unterkunftsmöglichkeiten“, sagt Inka.
Na und?
Der Dorfpfarrer, dem wir auf dem Weg zur Pilgerherberge begegnen, kommt mir gerade richtig. Meine Strategie steht sogleich fest. Zunächst verfolgen wir ihn bis zu seinem Haus. Falls wir später keinen Schlafplatz finden sollten, werden wir einfach umkehren, seine Wohnung belagern und an seine christliche Nächstenliebe appellieren.
Mit dieser genialen Idee im Hinterkopf betreten wir sichtlich beruhigt die Herberge. Hier sind lauter nette, junge Leute, die mich und Inka gern aufnehmen. Na, da hat der Pfarrer noch mal Glück gehabt.
Heute stört mich der Regen immens. Andauernd rutscht mir die Kapuze über meine Augen. Auch die ersten Kilometer neben der N-120 sind nicht gerade ein Zuckerschlecken. Nachdem wir ein Dorf passiert haben, liegen vierundzwanzig Kilometer Einsamkeit vor uns. Kein Auto, keine Menschenseele, nichts.
Während ich einen Fuß vor den anderen setze, hänge ich meinen Gedanken nach. Die Hälfte des Weges habe ich geschafft. Ich bin voller Eindrücke, laufe fast über vor Gefühlen und denke: Alles ist wichtig,
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