Der Jakobsweg
Morgen duftet, wie frisch und jungfräulich alles ist. Laut Reiseführer erwartet uns nach etwa sieben Kilometer ein schöner Rastplatz, die Fuente del Piojo.
Aber bevor wir an diesen Brunnen gelangen, geht es erst mal weiter den Berg hinauf und dann wieder herunter. Ich habe das Gefühl zu schweben.
Ich ziehe die Schuhe aus, nehme meine Zahnbürste und fange mit der Morgentoilette an... und das alles im schönsten Sonnenschein. Und weil das Brot so gut schmeckt, genehmige ich mir eine doppelte Portion.
Einige Bauern aus den umliegenden Ortschaften kommen, um ihre Traktoren mit Wasser aufzufüllen. Sie winken mir freundlich zu.
Gut gestärkt will ich weiter. Doch was ist mit Tila? Ist sie krank? Sie humpelt, sieht mich an, als sei sie mir bedingungslos ergeben. Ihre Pfoten sind in Ordnung und so hoffe ich, dass sie sich lediglich einen Muskelkater eingehandelt hat. Kein Wunder bei der gestrigen Raserei.
Ich versuche sie zu tragen, aber das ist unmöglich! Hinten achtzehn Kilo Rucksack und vorn achtzehn Kilo Hund... Das schaffe ich nicht! So muss Tila wohl oder übel laufen.
Die Gegend ist flach, eintönig, einfach langweilig. Links und rechts Getreidefelder. Mir scheint, als käme ich überhaupt nicht voran. Ich versuche lange Zeit zu Boden zu schauen in der Hoffnung, der Horizont würde beim ersten Blick nach oben schlagartig näher rücken. Aber die Landschaft ändert sich nicht, sieht immerzu gleich aus.
Nach zwei ärmlichen Dörfern erreichen wir eine Schleuse und überqueren den Kanal von Kastilien.
Ich bin sehr froh, dass wir in Frómista ein Hostal finden, denn Tila kann kaum noch laufen.
Völlig erschöpft schläft sie ein.
12. Wandertag: Frómista – Calzadilla – 36 km
Ich traue mich kaum, die Augen aufzumachen. Ob meine Knochen noch alle heil sind? Erst mal kontrollieren: linke Pfote, rechte Pfote, vorn und hinten, alles bestens. Mein Kopf sitzt fest und der Schwanz ist auch noch dran. Wunderbar! Die Schmerzen sind plötzlich wie weggeblasen. War wohl doch nur Muskelkater, wie Inka vermutet hat. Die Bezeichnung ist sehr treffend: Katzen und Kater sind ebenso eine Quai wie dieser stechende Schmerz.
Inka, nun mach schon! Los, pack den Rucksack, ich möchte raus. Nein, das darf doch nicht wahr sein! Ich weiß, dieser Satz ist alltäglich und dumm, aber es regnet in Strömen.
Es geht über Feld- und Uferwege. Etwa drei Stunden später machen wir die erste Rast. Unter einem Kirchenportal versuchen wir uns vor dem Regen zu schützen. Ich kann gar nicht so schnell zittern, wie ich friere. Inka holt meine Decke aus dem Rucksack und wickelt mich in einen kuscheligen Pullover ein.
Während sie die Kirche von außen und innen bewundert, kehren allmählich meine Lebensgeister zurück.
Nach einer halben Stunde brechen wir wieder auf. Der Regen hat etwas nachgelassen und hört schließlich ganz auf. In einem kleinen Städtchen dringt uns das vertraute „No perro!“ ins Ohr und wir beschließen, diesen unfreundlichen Ort schnellstens zu verlassen.
Der weitere Weg scheint direkt in den Himmel zu führen. Man läuft und läuft und trotzdem sieht es immerzu gleich aus, egal, ob man nach vorn oder nach hinten blickt. Hier ist wirklich nichts los. Tote Hose, weder Häuser noch Hühner, nicht einmal ein Kaninchen... lediglich ein Weg, der sich wie Kaugummi zieht.
Doch dann tauchen in der Ferne ein paar Häuser auf.
Nach einer guten Stunde sind wir da: in einem Dorf mit einem Gasthof und einem verdammt gut aussehenden Spanier, der uns ein Zimmer vermietet Ich weiß nicht, wer ihm besser gefällt: Inka oder ich. Ich bin so hundekaputt, dass es mir in diesem Moment egal ist. Ehrlich.
Der Sonntag fängt gut an: mit Kaffee und Kuchen. Im Regenzeug marschiere ich los. Tila scheint es schon viel besser zu gehen und ich bin froh, dass sie wie am Anfang unserer Wanderung herumspringt.
Der Regen wird immer stärker und schon bald fühle ich ihn auf meiner Haut. Aber da es nicht kalt ist, kann er mich nicht besonders beeindrucken.
Tila dagegen zittert wie Espenlaub.
In Villalcázar de Sirga legen wir eine kurze Pause ein. Tila decke ich mit einem Pullover zu. Es sieht lustig aus, da nur noch ihr Kopf herausschaut.
Die Kirche Santa Maria la Bianca ist sowohl außen als auch innen sehr schön. Als ich eine Kerze anzünden will, fällt mir ein Automat auf. Sobald man eine Münze einwirft, leuchten wie an einem Weihnachtsbaum elektrische Kerzen auf, mal mehr, mal weniger, je nach Geldwert. So etwas habe
Weitere Kostenlose Bücher