Der Janson-Befehl
Profile aus seiner Akte lesen würde: den Verrat und die Brutalität, die er in jungen Jahren erfahren hatte. Wie tief reichte das Trauma, und bestand die Möglichkeit, es zu neuem Leben zu erwecken? Seine Auftraggeber hatten diese Möglichkeit nie erwähnt, aber er hatte es immer in ihren Augen gelesen; die Persönlichkeitstests, denen er sich regelmäßig unterziehen musste -der Meyers-Briggs, das Aristos-Persönlichkeitsprofil, der Wahrnehmungstest -, sie alle waren darauf abgestimmt, irgendwelche Haarrisse zu entdecken, die seine Psyche möglicherweise bekommen hatte. Gewalt ist etwas, worauf Sie sich sehr, sehr, sehr gut verstehen: Collins' eiskalte Beurteilung. Das war es, was ihn für seine Auftraggeber unschätzbar wertvoll gemacht hatte, aber es war auch der Grund, weshalb die Planer in den obersten Etagen ihm gegenüber stets einen gewissen Argwohn empfanden. Solange er auf den Feind gerichtet war, wie ortsgebundene schwere Artillerie, konnte er ein Geschenk des Himmels sein; aber wenn es je dazu kommen sollte, dass er sich gegen die Männer wandte, die ihn ausgebildet hatten, die Planer, die ihn benutzten, dann konnte er zu einer Nemesis werden wie kaum ein anderer vor ihm.
Eine Erinnerung, die zehn Jahre zurückreichte, ging ihm durch den Kopf, eine aus einem guten Dutzend, die kaum voneinander zu unterscheiden waren. Er ist wie ein Kampfhund, der es geschafft hat, sich von seiner Leine zu befreien, Janson. Er muss unschädlich gemacht werden. Eine Akte, die man ihm in die Hand drückte: Namen, Verhaltensmuster, ein paar einschränkende Bedingungen -alles auswendig zu lernen und anschließend zu verbrennen. Es stand zu viel auf dem Spiel, als dass man die Formalitäten eines Kriegsgerichtsverfahrens oder von »Disziplinarmaßnahmen« riskieren konnte; außerdem war der Agent bereits für den Tod einiger guter Männer verantwortlich, die einmal seine Kollegen gewesen waren. Also eine Kleinkaliberkugel in den Hinterkopf; die Leiche würde man im Kofferraum eines Wagens finden, der einem russischen Verbrecherboss gehörte, der selbst ein blutiges Ende genommen hatte. Soweit es die Welt anging - und die interessierte es eigentlich gar nicht -, war das Opfer bloß ein weiterer amerikanischer Geschäftsmann in Moskau, der geglaubt hatte, seine mafija-Partner hereinle-gen zu können, und der dafür mit seinem Leben bezahlt hatte.
Ein Kampfhund hatte sich von der Leine befreit und musste vernichtet werden: eine bei Consular Operations übliche Prozedur. Janson - der mehr als einmal in derartigen Fällen die Rolle des Scharfrichters hatte spielen müssen - wusste dies ebenso gut wie jeder andere.
Jetzt wählte er seine Worte mit Bedacht. »Nichts, was ich sagen könnte, wäre geeignet, dir deinen Verdacht zu nehmen, Angus. Ich weiß nicht, wer dich gerade kontaktiert hat, und deshalb kann ich mich nicht zur Glaubwürdigkeit deines Gewährsmannes äußern. Ich finde es nur verblüffend, dass jemand es fertig gebracht hat, die Nachricht so schnell an dich zu übermitteln. Ich finde es verblüffend, dass man dich mit nur wenigen Worten und Erklärungen dazu überredet hat, eine tödliche Waffe auf jemanden zu richten, den du seit vielen Jahren kennst, als Protegé und als Freund.«
»Wie jemand einmal von Madame de Staël gesagt hat, du hast auf unversöhnliche Weise Recht. Mehr unversöhnlich als Recht.«
Fielding lächelte, ein unbehagliches Lächeln. »Versuche nicht, mit mir zu argumentieren. Dies hier ist kein Lehrvortrag.«
Janson musterte das Gesicht des alternden Gelehrten scharf; er sah einen Mann, der befürchtete, einem zutiefst verräterischen Widersacher gegenüberzustehen. Aber er sah auch einen Funken des Zweifels - sah einen Mann, der sich seines Urteils nicht absolut sicher war. Alles, was Sie wissen, muss ständig neu überprüft werden, kritisch durchdacht. Wenn nötig aufgegeben. Ihre beiden Waffen waren nach wie vor wie die von Spiegelbildern aufeinander gerichtet.
»Du hast immer gesagt, akademische Kämpfe sind deshalb so heftig, weil so wenig auf dem Spiel steht.«
Janson empfand eine seltsame Ruhe und seine Stimme klang auch so. »Ich denke, die Dinge ändern sich, aber wie du ja weißt, Angus, gibt es Leute, die versucht haben, mich zu töten, weil sie sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen. In erster Linie haben sie das aus verwerflichen Gründen getan. Wenn man im Einsatz ist, denkt man nicht viel über Gründe nach. Aber nachher tut man das. Wenn du jemandem wehgetan hast,
Weitere Kostenlose Bücher