Der Janson-Befehl
Zeitungsleitartikeln auszumalen, die darauf folgen würden. Durch das ganze Land würde der alte Satz hallen: Um dem Bösen zum Triumph zu verhelfen, reicht es aus, dass gute Menschen untätig bleiben. In der Flut der daraus erwachsenden Empörung konnten durchaus Karrieren vernichtet werden. Was wie der Pfad der Vorsicht aussah, war in Wirklichkeit mit Glassplittern übersät.
Aber was, wenn es eine andere Erklärung gab?
Die Liberty Foundation stellt, typisch für ihre Gewohnheit, nach eigenem Gutdünken zu handeln, ein internationales Kommandoteam auf, um den Gefangenen mit massiver Gewaltanwendung zu befreien. Wem kann sie schon außer sich selbst die Schuld geben, wenn das Vorhaben scheitert? Angehörige des State Departments in den mittleren Rängen würden alles an die Reporter »Durchsickern« lassen, die sich angewöhnt hatten, sie als unbenannte Gewährsleute zu nutzen: Novaks Leute haben unser Hilfsangebot schlankweg abgelehnt. Anscheinend hatten sie Angst, es könnte seine Aura der Unabhängigkeit beschädigen. Der Außenminister ist über das, was geschehen ist, natürlich zutiefst erschüttert - wir alle sind das. Aber wie kann man Menschen helfen, die diese Hilfe entschieden ablehnen? Arroganz ihrerseits? Nun, das könnte man sagen. Aber war das nicht ohnehin der fatale Schwachpunkt der Liberty Foundation selbst? Die weltgewandten, klugen Reporter - der New York Times, der Washington Post, die Depeschendienste - würden ihre Kommentare abliefern, die auf subtile Weise von dem beeinflusst sein mussten, was man ihnen zugespielt hatte. Nach Angaben informierter Quellen wurden Unterstützungsangebote rundweg abgelehnt...
Jansons Gehirn arbeitete auf Hochtouren. War dieses Szenario mehr als eine Fantasievorstellung, gehässige Fiktion? Er wusste es nicht, konnte es nicht wissen - noch nicht. Was er wusste, war nur, dass er die Möglichkeit nicht ausschließen durfte.
Fieldings »Augenblick« zog sich in die Länge, wurde zu drei Minuten, und als er schließlich wieder auftauchte und die Tür sorgfältig hinter sich schloss, wirkte er verändert.
»Der schon erwähnte Diplomand«, versicherte ihm Fielding mit etwas schrill klingender Stimme. »Der hoffnungslose Hal, wie ich ihn für mich nenne. Er versucht eine These von Condorcet zu widerlegen, und ich kann ihm einfach nicht klar machen, dass in dieser These die Widersprüche selbst das Interessante sind.«
Janson spürte ein Prickeln in der Halsgegend. Etwas am Verhalten des Gelehrten hatte sich verändert - sein Tonfall klang brüchig, wie er das nie zuvor gewesen war; und war da nicht ein leichtes Zittern seiner Hände, das ihm vorher nicht aufgefallen war? Janson erkannte, dass etwas seinen alten Lehrer beunruhigt hatte, und zwar zutiefst.
Der Don ging zu einem Stehpult, auf dem ein dicker Foliant, ein Wörterbuch, ruhte. Nicht ein beliebiges Wörterbuch, das wusste Janson - es war der erste Band einer seltenen Ausgabe von Samuel Johnsons Wörterbuch aus dem Jahre 1759. Auf dem Rücken trug es in goldenen Lettern die Aufschrift M - P. Janson erinnerte sich an das Buch, das in einem Regal Fieldings gestanden hatte, als dessen Räume noch am Neville Court von Trinity gewesen waren.
»Ich will nur kurz etwas nachsehen«, sagte er. Aber Janson spürte die Anspannung hinter dem harmlosen Satz. Nicht den Kummer über den Verlust eines guten Freundes, sondern ein anderes Gefühl. Unruhe. Argwohn.
Da störte etwas an seinem Verhalten: das leichte Zittern, die Stimme ... und ... noch etwas. Was?
Angus Fielding vermied den Augenkontakt mit ihm: Das war es. Manche Leute suchten fast nie Augenkontakt, aber zu denen gehörte Fielding nicht. Wenn er mit einem sprach, blickte er einen durchdringend an, wie um seine Worte zu unterstreichen. Janson spürte, wie eine seiner Hände fast unwillkürlich nach hinten unter das Jackett griff.
Er starrte Fielding wie hypnotisiert an, als dieser mit dem Rücken zu ihm den Folianten aufschlug und - das konnte einfach nicht sein!
Der Rektor des Trinity College fuhr zu Janson herum; er hielt eine kleine Pistole in einer zitternden Hand. Hinter Fielding sah Janson das ausgehöhlte Stück aus den Seiten des Folianten, wo die Waffe versteckt gewesen war. Die Waffe, die sein alter Mentor jetzt auf ihn richtete.
»Weshalb bist du wirklich zu mir gekommen?«, fragte Fielding.
Endlich begegnete sein Blick wieder dem Jansons, und was Janson in Fieldings Augen sah, nahm ihm den Atem: Da flammte mörderische Empörung.
»Novak
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