Der Janson-Befehl
Pepsi-Cola-Neonreklame noch immer leuchtete; wie damals, als man die Leuchtreklame im Jahre 1936 auf dem höchsten Punkt einer jetzt geschlossenen Abfüllanlage angebracht hatte, gedacht vielleicht als Amulett, das feindliche Angriffe oder Baulöwen abwehren sollte, was allerdings nicht gelungen war.
Es war kein schöner Anblick, doch gab es Zeiten, wo Generalsekretär Zinsou das Bild auf seltsame Weise hypnotisch empfand. Ein antikes Messingteleskop auf einem Eichenstativ war auf das Fenster gerichtet, aber er benutzte es nur selten; für das, was zu sehen war, reichte das bloße Auge. Ein versteinerter Wald ehemaliger Fabrikanlagen. Fossilien der Industrie. Eine Archäologie der Moderne, halb vergraben, halb ausgegraben. Die untergehende Sonne spiegelte sich im East River, blitzte im Chrom vergessener Werbetafeln. Ungeliebte Relikte vergangener Industrieimperien. Und wie stand es um sein eigenes Imperium am Ufer von Manhattan? War es ebenso für die Müllhalde der Geschichte bestimmt?
Die Sonne war am Horizont tiefer gesunken und verlieh dem East River einen rosigen Schein, als Helga Lundgren den Generalsekretär schließlich wissen ließ, dass Peter Novak am Telefon war. Er nahm sofort ab.
»Mon eher Mathieu«, sagte die Stimme. Sie wirkte so kristallklar, wie es in der digitalen Telefonie üblich wurde - zweifellos benutzte Novak ein Satellitentelefon neuester Konstruktion. Der Generalsekretär hatte den Wunsch geäußert, über eine verschlüsselte Leitung mit Novak zu sprechen, und die zusätzliche Elektronik steigerte vermutlich die auf geradezu gespenstische Weise von jeglichen Störgeräuschen freie Qualität des Signals. Nach ein paar Artigkeiten machte Mathieu Zinsou die ersten Andeutungen im Hinblick auf das Thema, das ihn beschäftigte.
Die Vereinten Nationen, so erklärte der Westafrikaner dem großen Mann, seien wie ein gewaltiger Frachter, dem allmählich der Treibstoff ausginge, also das Geld. Das war eine schlichte Tatsache.
»In vieler Hinsicht sind unsere Ressourcen immens«, sagte der Generalsekretär. »Wir verfügen über Hunderttausende von Soldaten, die uns zur Verfügung stehen und voll Stolz ihre Blauhelme tragen. Wir haben Büros in allen Hauptstädten der Welt, die mit Expertenteams besetzt sind, die Botschafterstatus genießen. Wir sind auf jeder Ebene mit dem Geschehen in diesen Ländern vertraut. Wir kennen ihre militärischen Geheimnisse, ihre Entwicklungspläne, ihre Wirtschaftsvorhaben. Eine Partnerschaft mit der Liberty Foundation ist schlicht und einfach eine Sache des gesunden Menschenverstands - ein Zusammenlegen von Ressourcen und Kompetenzen.«
Das war die Präambel.
»UNO-Beamte operieren frei und ungehindert in so gut wie jedem Land auf dem ganzen Planeten«, fuhr Zinsou fort. »Wir erleben es, wie Menschen infolge der Unfähigkeit und Habgier ihrer Regierungen leiden. Und doch können wir ihre Politik und Zielsetzung nicht umformen. Unsere Regeln und Vorschriften, unsere Bürokratie - sie lahmen uns in einer Art und Weise, dass wir irrelevant werden! Die Erfolge Ihrer Liberty Foundation haben die Vereinten Nationen beschämt. Dazu kommt noch, dass unsere zum Dauerzustand gewordene Finanzkrise uns inzwischen in jeder denkbaren Art und Weise zum Krüppel macht.«
»All das ist wahr«, sagte Peter Novak. »Aber es ist nicht neu.«
»Nein«, räumte Zinsou ein. »Neu ist es nicht. Und wir könnten abwarten und nichts tun, wie wir das in der Vergangenheit getan haben. In zehn Jahren wären die UN dann genauso arm wie die Ärmsten ihrer Schutzbefohlenen. Völlig ineffizient - nicht mehr als ein Debattierclub für feilschende Emire und Operettendespoten, von den entwickelten Nationen der Welt ignoriert und als belanglos abgetan. Die UN würde dann ein gestrandeter Wal am Ufer der Geschichte sein. Oder wir können handeln, jetzt handeln, bevor es zu spät ist. Man hat mich gerade mit beinahe einstimmiger Unterstützung der Vollversammlung auf weitere fünf Jahre in meinem Amt bestätigt. Ich befinde mich also in der einmaligen Position, wichtige einseitige Entscheidungen treffen zu können. Ich verfüge über die Popularität und die Glaubwürdigkeit, das zu tun. Und ich muss es tun, um diese Organisation zu retten.«
»Ich war immer der Ansicht, dass Sie sich den Ruf verdient haben, ein weit blickender Mann zu sein«, sagte Novak. »Aber das gilt auch für Ihren Ruf hinsichtlich strategischer Vieldeutigkeit, mon cher. Ich wünschte, ich könnte besser erkennen, was Sie
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