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Der Janson-Befehl

Titel: Der Janson-Befehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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Maximalpeilung.
    Er musste sich in Peilposition begeben. Was er da hörte, war seine eigene Stimme, Jahrzehnte zurück, als er neue Rekruten für ein SEAL-Team ausgebildet hatte. Maximalpeilung.
    Würde er das schaffen? Er hatte das Manöver seit vielen Jahren nicht mehr versucht. Und ganz sicherlich nicht bei einem Sprung nach GPS-Daten. Den Kurs halten bedeutete, dass man aus seinem Körper so etwas wie eine Tragfläche machte, mit dem Buckelprofil, wie Flugzeugtragflächen sie hatten, um auf diese Weise etwas Auftrieb zu gewinnen. Janson beschleunigte für ein paar Sekunden, den Kopf gesenkt, die Gliedmaßen leicht ausgestreckt. Er beugte Arme und Hüfte leicht und rollte die Schultern nach vorn, als wolle er sich zu einer Art Kotau anschicken; dabei krümmte er die Handflächen leicht. Dann zog er den Kopf ein, legte die Beine aneinander und streckte die Zehen aus wie ein Balletttänzer.
    Aber nichts passierte. Seine Flugbahn veränderte sich nicht.
    Es brauchte zehn Sekunden der Beschleunigung, bis er etwas Auftrieb verspürte und wahrnahm, wie seine Flugbahn flacher wurde. Theoretisch sollte ein Mensch imstande sein, einen Anflugwinkel zu erreichen, der um fünfundvierzig Grad von der Vertikalen abwich.
    Theoretisch.
    Im Idealfall sollte es möglich sein, sich horizontal ebenso schnell zu bewegen wie vertikal - sodass man mit jedem Meter, den man sich dem Boden näherte, fast einen Meter vorankam, dem Zielpunkt näher.
    Theoretisch.
    In der Realität war er mit Ausrüstung aller Art überladen, trug unter seiner Flugkombination vierzig Pfund Gerät, das an seiner Kampfweste befestigt war. In der Realität war er ein neunundvierzig Jahre alter Mann, der in der eisigen Luft, die durch seinen Schutzanzug pfiff, immer steifer wurde. In der Theorie musste er perfekte Flughaltung einnehmen, und er hatte keine Ahnung, wie lange seine Muskeln ihm das erlauben würden.
    In der Realität störte jeder Blick auf den Höhenmesser und die GPS-Einheit diese perfekte Körperhaltung, auf die es ankam. Und doch flog er ohne diese Geräte wahrhaft blind.
    Er verdrängte alle Sorgen und Ängste aus seinem Bewusstsein; für den Augenblick würde er zur Maschine werden müssen, zum Automaten, auf nichts anderes konzentriert als die Aufgabe, eine Flugbahn perfekt zu gestalten.
    Ein verstohlener Blick auf die Instrumente an seinem Handgelenk.
    Er kam vom Kurs ab, das verriet das Blinken des GPS-Geräts. Wie weit? Vier Grad, vielleicht fünf. Sofort bewegte er beide Hände parallel im Fünfundvierzig-Grad- Winkel, veränderte ein wenig das Kissen aus Luft, das ihn umgab, und wurde dafür mit einer leichten Wende belohnt.
    Das GPS-Gerät hörte zu blinken auf, und Janson spürte Hoffnung in sich aufsteigen.
    Er war wieder auf Kurs, jagte durch den blauschwarzen Himmel, der ihn umgab, und ein Kissen aus Luft hielt ihn, während er sich seinem Ziel näherte. Es war schwarz um ihn, der Himmel war schwarz, und er war mit den Strömungen eins. Der Wind fegte ihm ins Gesicht, hielt ihn aber auch in der Luft, wie die Hand eines Engels. Er lebte.
    Ein greller Piepton durchdrang das Rauschen des Fahrtwindes. Der akustische Höhenwarner.
    Eine Warnung, dass er sich jenem Vertikalpunkt näherte, von dem es keine Rückkehr mehr gab - der Höhe, unter der beim Aufprall der Tod die einzige Gewissheit war. In den Handbüchern war das nicht ganz so dramatisch formuliert: Dort stand etwas von »Minimalhöhe für Fallschirmeinsatz«. Für einen Absprung aus großer Höhe mit später Öffnung des Fallschirms gab es nur grobe Parameter: Öffnet man den Schirm in zu geringer Höhe, musste der Boden einen treffen wie ein Sattelschlepper auf der Überholspur der Autobahn.
    Und doch war er weiter vom Zielpunkt entfernt, als er das für diesen Punkt geplant hatte. Er hatte sich vorgestellt, sich beim Öffnen des Fallschirms in unmittelbarer Umgebung des Bauwerks zu befinden. Zum einen war es mit offenem Schirm wesentlich schwieriger, in den wechselnden Luftströmen zu manövrieren. Zum anderen war die Gefahr, entdeckt zu werden, wesentlich größer, wenn er langsam über den Steinpalast dahintrieb. Ein Mann, der mit hundertsechzig Meilen in der Stunde dem Boden entgegen jagt, war schwerer zu erkennen als ein Mann, der langsam unter einem großen, rechteckigen Fallschirm heranschwebt.
    Beides hatte seine Risiken. Er musste eine Entscheidung treffen. Und zwar jetzt.
    Er drehte den Kopf halb nach hinten, versuchte Konturen in der dicken Schwärze zu erkennen.

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