Der Janson-Befehl
vermutlich aus der Vietnam-Zeit. Der M16-Karabiner war damals die Standardwaffe der Infanterie gewesen, und die NVA hatte sie nach dem Fall des Südens zu Tausenden eingesammelt. Von dort aus war der M16 auf den internationalen Markt gekommen und zur halbautomatischen Standardwaffe von Guerilla-Bewegungen mittelmäßiger Finanzkraft auf der ganzen Welt geworden - Guerillas der Art, die auf Raten einzukaufen pflegten, sparten, wo es nur gerade ging, und ihre Mittel nie auf Ausrüstungsgegenstände zweitrangiger Bedeutung verschwendeten. Mit dem M16 konnte man kurze Feuerstöße abgeben, es gab kaum Ladehemmungen, und der Karabiner war selbst in feuchtheißem Klima bei einiger Pflege korrosionsbeständig. Janson empfand Respekt vor der Waffe; er empfand vor allen Waffen Respekt. Aber er wusste auch, dass man diese Waffen hier nicht unnötig abfeuern würde. Soldaten in unmittelbarer Nähe ihrer schlafenden Führer vermieden es, um vier Uhr morgens ohne wichtigen Grund Lärm zu machen.
Janson zog eine zweite Bandicoot-Ratte aus dem Alurohr, ein sogar noch etwas größeres Exemplar, und drückte ihr, während sie gegen seine behandschuhten Hände ankämpfte, eine winzige mit d-Amphetamin gefüllte Spritze in den Bauch. Das Präparat würde Hyperaktivität auslösen und die Ratte noch aggressiver und schneller als die andere machen - und damit in den Augen der Wachen noch bedrohlicher.
Die Hand mit der Ratte zuckte vor, warf ... Mit ihren kurzen, scharfen Klauen in der Luft fuchtelnd, landete die Ratte auf dem Kopf einer der Wachen - die einen kurzen, durchdringenden Schrei ausstieß.
Das hatte Janson nicht gewollt. Wenn der Schrei Soldaten anlockte, die nicht dem Nordflügel zugeteilt waren, war das Manöver schief gegangen. Bis jetzt gab es allerdings keine Zeichen dafür, obwohl die bereits anwesenden Wachen sichtlich erregt waren. Er wandte vorsichtig den Kopf und musterte das unruhige Durcheinander auf der nördlichen Veranda. Sein Ziel war ein Punkt unmittelbar unter jener Veranda, und es gab keinen geschützten Weg dorthin, denn die Plattenwege, die von den langen Ost-und Westmauern des Gebäudekomplexes ausgingen, endeten fünf Meter vor der gegenüberliegenden Mauer.
Dass die Wachen im Licht saßen, während er und Katsaris sich im Dunkeln bewegen würden, bot einigen Schutz, aber nicht genug: Der menschliche Gesichtssinn reagierte auf Bewegungen, und die Innenbeleuchtung erhellte das Kopfsteinpflaster vor der nördlichen Veranda schwach. Ihr Einsatz erforderte absolute Unsichtbarkeit. So gut ausgebildet und ausgerüstet sie auch sein mochten, zwei Männer konnten den hundert Guerillakämpfern im Steinpalast unmöglich Paroli bieten. Entdeckung bedeutete den Tod. So einfach war das.
Zehn Meter entfernt und in knapp zwei Meter Höhe erschien ein älterer Mann mit einem tief zerfurchten, lederartigen Gesicht und gebot Stille. Stille, um die schlafenden Befehlshaber nicht zu wecken, die vor kurzem als rechtmäßige Bewohner in den Palast eingezogen waren. Als Janson den älteren Mann beobachtete, wuchs seine Unruhe. Der Befehl des Mannes war scharf, aber sein Gesicht verriet Janson, dass die Unruhe nicht seine einzige, ja nicht einmal seine Hauptsorge war. Nur Argwohn konnte die zusammengekniffenen, suchenden Augen erklären; die Tatsache, dass sein Blick schnell von den verstörten Wachen zu dem von Schatten erfüllten Hof hinter ihm wanderte und dann zu den vergitterten Fenstern über ihm. Sein huschender Blick ließ erkennen, dass ihm die Besonderheiten des nächtlichen Sehens bewusst waren: dass die periphere Sicht schärfer als die direkte wurde, dass ein konzentrierter Blick Umrisse verformte und einem das zeigte, was man zu sehen erwartete. Ein geschulter Blick dagegen blieb nachts ständig in Bewegung; das Gehirn war imstande, aus den verschwommenen Umrissen, die die Augen registrierten, ein Bild aufzubauen.
Janson fuhr fort, das von Falten durchzogene Gesicht des Mannes zu mustern, und zog einige weitere Schlüsse. Dies war ein intelligenter, ein vorsichtiger Mann, der nicht zu vorschnellen Schlüssen neigte. Aus dem offenkundigen Respekt, den die anderen Männer ihm entgegenbrachten, war abzuleiten, dass er eine führende Position einnahm. Ein weiteres Anzeichen dafür war die Waffe, die er in einer Schlinge um die Schultern trug: eine russische KLIN. Eine weit verbreitete Waffe, aber kleiner und etwas teurer als der M16-Karabiner. Die KLIN war verlässlicher, eignete sich besser für punktgenaues
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