Der Janson-Befehl
Verteidigungslinie an einem Ort, wo logischerweise überhaupt keine Verteidigung gebraucht wurde.
Und wo war Katsaris?
Janson spähte über den Hof, quer über zwanzig Meter Dunkelheit hinweg, konnte aber nichts erkennen. Katsaris war unsichtbar. Oder verschwunden.
Er machte leise Zzz in sein Mikrofon, versuchte den Laut so zu modifizieren, dass er nächtlichen Lauten von Insekten oder Vögeln glich.
Zzz antwortete es an seinem Ohr. Katsaris war da, bereits an Ort und Stelle.
Die erste Entscheidung, die er traf, musste die richtige sein, das war von entscheidender Wichtigkeit. Durften sie riskieren, diese Männer auszuschalten? Oder waren sie Köder - Lockvögel?
Janson richtete sich ein Stück auf, spähte durch die Fenster hinter dem Eisengitter. Er war schweißbedeckt, es fühlte sich wie eine Schlammschicht an; die Luftfeuchtigkeit verhinderte jegliches Verdunsten. Jetzt beneidete er Katsaris um das Procholinergikum. Der Schweiß verschaffte ihm keine Kühlung; er klebte bloß auf seiner Haut wie eine Schicht Kleidung, die er nicht brauchen konnte.
Zugleich beunruhigte es ihn, dass ihm solche Belanglosigkeiten überhaupt auffielen. Er musste sich konzentrieren: War da vielleicht irgendwo ein Stolperdraht gespannt?
Er blickte durch das IR-Glas, richtete es auf das Eisengitter hinter den rauchenden Wachen. Nichts.
Doch, da war etwas. Ein rötlicher Punkt, zu klein, als dass es ein menschlicher Körper hätte sein können. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es eine Hand, die zu einem menschlichen Körper gehörte, der hinter einer steinernen Mauer verborgen lag.
Die Vermutung lag nahe, dass sich die Männer auf der Veranda der Tatsache gar nicht bewusst waren, dass es hinter ihnen eine zweite Verteidigungslinie gab; das hätte ihre ohnehin zweifelhafte Effizienz noch weiter verringert. Aber er wusste es.
Und gab es hinter der zweiten Verteidigungslinie eine dritte? Unwahrscheinlich. Doch nicht unmöglich.
Aus einer langen Schenkeltasche zog Janson ein geschwärztes Aluminiumrohr, zweiunddreißig Zentimeter lang und mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern. Das Rohr war innen mit einem eng anliegenden Stahlnetz ausgekleidet, das verhinderte, dass das Lebewesen in dem Rohr ein Geräusch verursachte. Eine Atmosphäre aus neunzig Prozent reinem Sauerstoff stellte sicher, dass das Tier nicht erstickte.
Jetzt war der Augenblick für Lärm da, für ein Ablenkungsmanöver.
Er schraubte den Deckel des Rohrs ab - das Teflonbeschichtete Gewinde ließ sich lautlos drehen -, zog den Nager an seinem langen, nackten Schwanz heraus und warf ihn in einer hohen Parabel zu der Veranda hinüber. Die Ratte landete, als wäre sie auf ihrer nächtlichen Reise ausgeglitten und vom Dach gefallen.
Ihr glänzendes schwarzes Fell war jetzt gesträubt, und das kleine Tier gab sein typisches schweineähnliches Grunzen von sich. Die Wachen hatten Besuch bekommen und merkten das binnen vier Sekunden. Der kurze Kopf, das breite Maul, der schuppige, haarlose Schwanz. Dreißig Zentimeter lang, zweieinhalb Pfund schwer. Eine Bandi-coot-Ratte. Bandicota bengalensis lautete die korrekte zoologische Bezeichnung. Ahmad Tabaris Schreckgespenst.
Ein hektischer Wortwechsel in drawidischer Sprache entspann sich zwischen den Kagama-Wachen.
»Ayaiyo, ange paaru, adhu yenna theridhaa?«
»Aiyo, perichaali!«
»Adhayepadiyaavadbu ozrikkanum.«
»Andha vittaa, naama sethom.«
»Ango podhu paaru.«
Die Ratte huschte, ihrem Instinkt folgend, auf einen Eingang zu, während die Wachen, ihrerseits ihren Instinkten folgend, versuchten, sie aufzuhalten. Die Versuchung war groß, auf den großen Nager zu schießen, aber das würde alle in dem Gebäude wecken, und sie hätten sich lächerlich gemacht. Außerdem würde es darauf aufmerksam machen, dass jemand einen Fehler gemacht hatte, und zwar einen von einiger Tragweite. Wenn Der-von-allen-Geliebte, der in den Gouverneursgemächern schlief, in seinen Wohnräumen auf diesen Todesboten stoßen sollte, war nicht abzusehen, wie er reagieren würde. Es war durchaus möglich, dass er, von finsterem Entsetzen getrieben, die Prophezeiung des Todesboten selbst wahr machte und die Wachen töten ließ, die dem Tier Zugang gewährt hatten. Sie wussten, was beim letzten Mal passiert war.
Ihre Verwirrung hatte, ganz wie Janson das gehofft hatte, die anderen auf den Plan gerufen - das zweite Team. Wie viele? Drei - nein, vier.
Die Mitglieder des zweiten Teams waren mit amerikanischen M16-Karabinern bewaffnet,
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