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Der Janson-Befehl

Titel: Der Janson-Befehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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wäre, auch in anderen Dingen Großartiges zu leisten? Dass er ein guter Mensch war. Dass er ein großartiger Vater sein würde.«
    »Er war ein großartiger Freund.«
    »Ja, für dich war er das«, nickte Marina. »Warst du es für ihn auch?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Er hat dich geliebt, Paul. Deshalb ist er deinem Ruf gefolgt.«
    »Das verstehe ich«, sagte Janson ausdruckslos. »Das verstehe ich.«
    »Du hast ihm sehr viel bedeutet.«
    Janson blieb eine Weile stumm. »Es tut mir so Leid, Marina.«
    »Du warst es, der uns beide zusammengebracht hat. Und jetzt hast du uns auseinander gerissen, auf die einzige Art, wie man uns je auseinander reißen konnte.«
    Marinas dunkle Augen sahen ihn flehentlich an, und dann brachen plötzlich alle Dämme in ihr. Sie schluchzte, gab Geräusche von sich wie ein Tier, wild und unartikuliert, wurde am ganzen Körper von Zuckungen geschüttelt. Sie ließ sich auf einen schwarzen Lackhocker fallen, umgeben von den kleinen Dingen des Alltagslebens, die sie und Theo gemeinsam angesammelt hatten: dem Webteppich, dem erst vor kurzem ausgelegten Eichenparkett, dem kleinen, wohnlichen Haus, in dem sie und ihr Mann sich zusammen ein Leben aufgebaut hatten - in dem sie sich gemeinsam darauf vorbereitet hatten, ein anderes Leben zu führen. Janson sinnierte, dass eine vom Krieg zerrissene Insel im Indischen Ozean ihn auf andere Weise ebenso wie Theo der Vaterschaft beraubt hatte.
    »Ich wollte nicht, dass er geht«, sagte sie. »Nie habe ich das gewollt.«
    Ihr Gesicht war jetzt gerötet, und als sie den Mund aufmachte, konnte man zwischen ihren angeschwollenen Lippen einen Speichelfaden sehen. Der Zorn hatte Marina den einzigen Halt verliehen, den es für sie gab, und als dieser Zorn in sich zusammengebrochen war, tat sie das auch.
    »Ich weiß, Marina«, sagte Janson, und seine Augen waren feucht. Er sah, dass sie im Begriff war, die Fassung gänzlich zu verlieren, und legte die Arme um sie, drückte sie an sich. »Marina.«
    Er flüsterte ihren Namen wie ein flehentliches Gebet. Die helle Sonne draußen vor dem Fenster stand in scharfem Kontrast zu ihren Gefühlen, und das Hupen der Autos, der blökende Lärm der Großstadt war wie Balsam. Ein Meer von Menschen, die zu ihren Familien nach Hause zurückkehrten: Männer, Frauen, Söhne, Töchter -die Geometrie des häuslichen Lebens.
    Als sie ihn jetzt wieder ansah, blickte sie durch einen Schleier von Tränen. »Hat er jemanden gerettet? Jemanden befreit? Sag mir, dass er nicht umsonst gestorben ist. Sag mir, dass er ein Leben gerettet hat. Sag es mir, Paul!«
    Janson ließ sich schwer auf einen Korbsessel sinken.
    »Sag mir, was geschehen ist«, flüsterte Marina, als ob Einzelheiten über das Vorgefallene dem Ganzen Sinn geben würden.
    Eine Minute verstrich, bis Janson sich genügend im Griff hatte, um sprechen zu können, und dann erzählte er ihr, was geschehen war. Schließlich war das der Grund seines Kommens gewesen. Er war der Einzige, der genau wusste, wie Theo gestorben war. Marina wollte das wissen, musste es wissen, und er würde es ihr sagen. Und doch wurde ihm, während er sprach, auf eindringliche Weise bewusst, wie wenig seine Erklärung doch erklärte. Es gab so viel mehr, das er nicht wusste. So viele Fragen, auf die er keine Antwort hatte. Das Einzige, was er sicher wusste, war, dass er diese Antworten finden - oder bei dem Versuch, es zu tun, sterben würde.
    Das Hotel Spyrios, einige Häuserblocks vom Syntagma-Platz entfernt, war in dem nichts sagenden Stil internationaler Resort-Hotels gebaut; die Aufzugkabinen waren mit imitiertem Travertin ausgekleidet, die Türen mit Mahagoni furniert, das Mobiliar darauf abgestimmt, in Prospekten zu prunken, ohne aber überflüssigen Luxus zu bieten.
    »Ihr Zimmer ist in fünf Minuten bereit«, versprach ihm der Mann am Empfangstresen. »Nehmen Sie bitte in der Halle Platz, wir rufen Sie dann. Fünf Minuten, bestimmt nicht länger.«
    Die fünf Minuten nach athenischer Zeitrechnung waren eher zehn, aber schließlich bekam Janson seine Schlüsselkarte und begab sich zu seinem Zimmer im achten Stock. Ein automatisches Ritual lief ab: Er schob die schmale Schlüsselkarte in den Schlitz, wartete auf das Blinken der grünen Diode, drückte die Klinke nieder und schob die schwere Tür nach innen.
    Er fühlte sich belastet, und dies nicht nur von seinem Gepäck. Seine Schultern und sein Rücken schmerzten. Das Treffen mit Marina war genauso qualvoll gewesen, wie er das erwartet hatte.

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